Forst-Theorie: "Der deutsche Wald ist ein Mythos"
Der deutsche Wald, so der Historiker David Blackbourn, ist noch immer mit Projektionen aufgeladen. Und die Angst vor einem Ausverkauf nach China völlig irrational.
taz: Herr Blackbourn, der Bund deutscher Forstleute hat jüngst vor dem "Ausverkauf deutscher Wälder" gewarnt. Welche Bedeutung hat der Wald in deutschen Debatten?
David Blackbourn: Wälder sind Symbole dafür geworden, was Historiker eine moralische Panik nennen. Das zeigen zwei Beispiele: Im späten 18. Jahrhundert gab es ein große Diskussion über die sogenannte "Holzknappheit", die von deutschen Regierungen politisch für die Frage missbraucht wurde, wer die Wälder kontrolliert. In den 1980er-Jahren kam dann das Thema Waldsterben auf. Sicherlich zerstörte saurer Regen Wälder, aber statistisch gesehen hatte die Zahl der Bäume in Europa von 1950 bis 1980 zugenommen. "Waldsterben" diente als eine dramatische Metapher.
David Blackburn, 56, lehrt Geschichte in Harvard und leitet das Center for European Studies in Berlin. Im Herbst erscheint sein Buch "Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft" (DVA). Er ist einer der führenden Historiker, die sich mit der Entstehung des modernen Deutschlands befassen. Sein Buch "Mythen deutscher Geschichtsschreibung" entfachte eine Debatte über den deutschen "Sonderweg".
Was halten Sie von dem aktuellen Protest, dass der Wald von chinesischen Investoren bedroht sei?
Die gegenwärtige Debatte finde ich sehr übertrieben. Es besteht keine wirkliche Gefahr für das deutsche Waldmanagement. Es gibt Regeln für die Bewirtschaftung deutscher Wälder und Naturschutzbestimmungen. Es gibt keinen Grund, warum diese kleinen Teile deutscher Wälder, die verkauft werden, zu einer Art Kahlschlag führen sollten. Manche, die heute Wälder verteidigen oder chinesische Investoren kritisieren, fürchten auch das Verschwinden der Wanderwege. Aber ein Wanderweg ist nichts besonders Natürliches.
In Ihrem Buch "Die Eroberung der Natur" beschreiben Sie 250 Jahre deutsche Geschichte über die Gestaltung von Wasser und Landschaft. Welche Rolle spielte der Mythos Wald?
Die hartnäckigste Bedeutung führt zurück in die Romantik, in der Wald als Gegenteil des Gepflegten gilt. Der Wald ist wild, er ist unverwechselbar deutsch. Nationalistische Untertöne finden wir etwa bei den Gebrüdern Grimm. Auch wenn die Romantiker, die späteren deutschen Intellektuellen und Wald- und Heimatschützer den deutschen Wald als natürlich feiern - diese Wälder waren komplett von Menschen verändert.
Gibt es denn einen Zusammenhang zwischen der "Eroberung der Natur" und politischen und militärischen Eroberungen?
Die Beziehungen der Menschen zur Natur können nicht von ihren Machtbeziehungen getrennt werden. Das sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Durch das Denken der Deutschen zieht sich die paradoxe Idee, die Deutschen hätten gleichzeitig ein besonderes Nähegefühl zur Natur und seien dennoch fähig, Ordnung über sie auszuüben. Nazi-Funktionäre schrieben immer wieder über die Unordnung, die sie in polnischen und ukrainischen Wäldern vorfinden würden. Die Deutschen würden angeblich beides wieder herstellen: die Ordnung, aber auch einen umweltgerechten Wald.
Gab es solche nationalistischen Muster auch in der deutschen Umweltbewegung nach 1945?
Es gibt Kontinuitäten im Nachkriegsdeutschland bis in die 1960er-Jahre hinein, etwa mit der Grünen Charta von der Mainau. Einige der damals involvierten Personen waren schon am Reichsnaturschutzgesetz von 1935 beteiligt. Danach aber gab es meiner Meinung nach einen kompletten Wechsel. In den 1980er-Jahren beginnt mit der grünen Partei und der Einführung des Umweltministeriums etwas Neues.
Heute ist Umweltschutz ein wichtiges Ziel der deutschen Bundesregierung, um sich international zu positionieren. Wieder eine Eroberung über die Natur?
Nein, ich sehe das nichts Zynisches. In keinem anderen Industriestaat dieser Größe und Macht ist grüne Politik so wichtig wie in Deutschland - nicht nur in der grünen Partei, sondern quer durch die Parteien. Vergleichbares finden Sie nur in den kleineren skandinavischen Ländern oder in Neuseeland. In den 1980er-Jahren verhöhnte US-Präsident Reagan den Umweltschutz und sprach von Bäumen, die Umweltverschmutzung produzieren. Margaret Thatcher sagte während des Falklandkriegs, sie sei zufrieden, endlich mit einer realen Krise zu tun zu haben, nachdem so lange über Triviales wie Umwelt gesprochen worden sei. Es ist unvorstellbar, dass Helmut Kohl Ähnliches gesagt hätte.
Wie bewerten Sie, dass sich in der Rede vom "Ausverkauf" an China rechte und antikapitalistische Argumente verknüpfen?
Die Reaktion der NPD ist Nazi-Rhetorik, die antikapitalistische verpackt ist. Natur ist ein dehnbarer Begriff und kann von vielen dienstbar gemacht werden. Niemand sagt - ich bin gegen die Natur. Diese überhitzte Debatte bringt uns zurück zum zentralen Paradox, dass das, was als angeblich Natürliches gefeiert wird, auch Kulturlandschaft ist. Ich denke, diese Illusionen werden von Linken und Rechten geteilt.
INTERVIEW: KATHARINA LUDWIG
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