Forschung zu Zahnmedizin und Gender: Frauen verlieren früher den Biss
Keine schöne Aussicht: Frauen fallen die Zähne früher aus als Männern. In Zukunft wird das noch häufiger passieren, sagen Expertinnen.
BERLIN taz | Jedes Kind ein Zahn, heißt es. Oder anders ausgedrückt: Frauen verlieren mit jedem Kind, das sie gebären, einen Zahn. Der Grund dafür ist – entgegen dem Volksglauben, nach dem sich der Fötus für sein Wachstum wichtige Mineralstoffe aus den Zähnen der Mutter holt – wissenschaftlich nicht ausreichend erforscht. Nachgewiesen indes ist, dass Frauen früher als Männer ihre Zähne verlieren.
Der Grund dafür liege unter anderem im schnelleren Abbau der Knochensubstanz bei Frauen, sagte die Reichelsheimer Zahnärztin Christiane Gleissner Ende der vergangenen Woche auf einem Symposium zur Gendermedizin in Berlin. Die Gendermedizin, die geschlechtsspezifische Unterschiede in der medizinischen Praxis im Fokus hat, ist eine junge Wissenschaft.
Inzwischen ist unbestritten, dass Frauen anders als Männer auf bestimmte Medikamente sowie auf Autoimmunerkrankungen reagieren. Sie leiden auch häufiger als Männer an psychischen Erkrankungen.
Zahnmedizin und Gender ist hingegen ein neues Forschungsfeld. Erst seit ungefähr zehn Jahren sei klar, sagte Gleissner, dass „das Wissen über die Mundgesundheit von Frauen unzureichend ist“. Studien, die seitdem durchgeführt wurden, zeigen, dass Frauen häufiger als Männer Karies bekommen und in jedem Alter über einen Zahn weniger verfügen als gleichaltrige Männer.
Zahnlos trotz gründlicher Pflege
Frauen sind auch früher komplett zahnlos. So trägt jede vierte Frau zwischen 65 und 74 Jahren ein Gebiss, während es bei den Männern nur jeder fünfte ist. Und das, obwohl Frauen häufiger und gründlicher als Männer Mundhygiene betreiben und öfter zum Zahnarzt gehen. Männer hingegen erkranken häufiger an der Zahnfleischerkrankung Parodontitis und an Wurzelkaries. ZahnmedizinerInnen sehen den Grund dafür in den unterschiedlichen Geschlechtshormonen von Frauen und Männern.
Eine weitere Ursache für die schlechtere weibliche Zahngesundheit ist laut Gleissner, die an der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde der Universität Mainz lehrt, ein zeitlich unterschiedlicher Zahnwechsel: Mädchen verlieren früher als Jungen ihre Milchzähne. So hätten schädliche orale Mikroorganismen länger Zeit, bleibende Zähne anzugreifen.
Frauen nehmen zudem häufiger Medikamente ein, die die Zahnsubstanz stärker angreifen. Als soziale Komponente nannte Gleissner auch die „typische Rolle“ der Frau in der Familie: Frauen kochen öfter und bringen beim Abschmecken mehr Keime in den Mund.
Darüber hinaus leiden sie häufiger als Männer an Osteoporose. Die landläufig als Knochenschwund bekannte Alterskrankheit bewirke, so Gleissner, auch eine Reduzierung des Stützgewebes im Mund. Die Folge: Zahnausfall. Etwa ein Drittel aller Frauen erkrankt nach der Menopause an Osteoporose.
Ärzte verschreiben ihren Patientinnen häufig Hormone, um die Beschwerden der Wechseljahre zu mildern. Inzwischen verzichten aber immer mehr Frauen darauf. Das wiederum wirke sich auf die weibliche Mundgesundheit aus. „Der Zahnverlust bei Frauen wird steigen“, sagte Gleissner.
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