Forscher über Studentenverbindungen: „Wird sich wenig verändern“
Deutsche Studentenverbindungen sind grundsätzlich konservativ und haben ein Nachwuchsproblem, sagt Rechtsextremismusforscher Bernhard Weidinger.
taz: Herr Weidinger, welche Funktionen erfüllen Studentenverbindungen heute?
Bernhard Weidinger:Die zentrale Funktion von Verbindungen heutzutage ist der Selbsterhalt. Wir sprechen von sehr wenig dynamischen Organisationen, die teilweise seit Jahrzehnten mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen haben. Da steht die Traditionspflege im Vordergrund. Daneben gibt es natürlich den sozialen Aspekt, also die Kneipen, die Feste.
Der 41-Jährige ist Politikwissenschaftler und Rechtsextremismusforscher. Er arbeitet am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes in Wien.
Für schlagende Verbindungen ist auch das Fechten von großer Bedeutung. Ist das noch zeitgemäß?
Das lässt sich sicher diskutieren. Meines Erachtens sollte im 21. Jahrhundert die Frage der Sittenwidrigkeit studentischer Fechtrituale neu erörtert werden. Das dafür bis heute maßgebliche BGH-Urteil stammt aus den frühen 1950ern. (Laut dem Urteil ist die Einwilligung in Körperverletzungen bei Fechtkämpfen nicht sittenwidrig, d. Red.)
Verbindungsstudenten sagen, dass die Mensur mittlerweile harmloser sei als ein Boxkampf. Finden Sie das auch?
Der Vergleich mit dem Boxen an sich ist schon schief, weil es sich bei der Mensur nicht um einen sportlichen Wettkampf, sondern um ein Männlichkeitsritual handelt, das aus dem Verletzungsrisiko überhaupt erst seine Bedeutung zieht. Wie hoch das Risiko ist, hängt ab vom jeweils geltenden Regelwerk. Aber aufgeschlitzte Wangen und offene Arterien zählen sicher nicht zu den typischen Boxverletzungen.
Kommen solche Verletzungen noch häufig vor?
Ein derartiger Fall aus Erlangen hat vor Kurzem einmal mehr gezeigt, dass große Bemühungen unternommen werden, solche Vorfälle geheim zu halten. Man verarztet die Verletzungen direkt am Haus oder stellt dort, wo das nicht mehr geht, mit bekanntem Klinikpersonal Einvernehmen her, dass nichts an die Polizei gemeldet wird. Insofern ist davon auszugehen, dass es eine erhebliche Dunkelziffer gibt.
Wie viel hat sich in den letzten 50 Jahren überhaupt beim Fechten verändert?
In meiner Wahrnehmung kaum etwas. Dort, wo das Fechten identitätsstiftend ist, sind auch gerade die Pflege der Tradition und die Nichtveränderung des Rituals identitätsstiftend. Wenn man in größeren Zeiträumen denkt, sagen wir 100 Jahre, kann man schon feststellen, dass deutlich weniger gefochten wird und wohl auch weniger Unfälle passieren.
Und wie reformfähig sind Studentenverbindungen insgesamt?
Es gibt Verbände, wo es eine vergleichsweise hohe Bereitschaft gibt, sich ändernden Zeiten anzupassen. Und andere, wo genau das ganz grundsätzlich abgelehnt wird, wo man stolz darauf ist, an Formen und Ideen des 19. Jahrhunderts festzuhalten. Die Deutsche Burschenschaft wäre ein Beispiel für Letzteres.
Die sticht auch durch rechtsextreme Einstellungen heraus. Aber sind Burschen anderer Verbände so viel weniger rechts, wie sie behaupten?
Gerade in Deutschland gibt es ein erhebliches Spektrum, das von liberal bis rechtsextrem reicht. Im Schnitt wird man das Verbindungsstudententum jedenfalls rechts der studentischen Mitte verorten können.
Die meisten Verbindungen sind als Männerbünde organisiert. Es gibt aber auch gemischte Verbindungen. Sind sie die Zukunft?
Bei gemischten Verbindungen ist über die letzten Jahrzehnte kein besonderes Wachstum zu beobachten. Auch wenn man in die USA schaut, wo es ein noch lebendigeres Verbindungswesen gibt als hier, sieht man zwar gemischte Verbindungen, aber die Regel sind sie nach wie vor nicht. Es ist offensichtlich so, dass die Geschlechtshomogenität für viele der Mitglieder auch ein Motiv ist, überhaupt in eine Verbindung einzutreten.
Wie könnten sich Studentenverbindungen in Zukunft entwickeln?
Eine Entwicklung könnte hingehen zu einem amerikanischen Modell, bei dem das Feiern sehr stark im Vordergrund steht. Insgesamt erwarte ich aber, dass sich im Verbindungswesen relativ wenig verändert. Strukturkonservatismus ist Teil seiner DNA.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels