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Forderung von Anti-Atom-VerbändenMerz soll Atomhandel mit Russland stoppen

Umwelt- und Anti-Atom-Verbände fordern ein Ende der Verarbeitung von russischem Uran im emsländischen Lingen. Anlass sind aktuelle Atomtransporte.

Die Zusammenarbeit von russischer und französischer Atomindustrie in Lingen war Umwelt­schützer­:innen schon 2022 ein Dorn im Auge Foto: Lars Klemmer/dpa

Hamburg taz | Zwei russische Frachter sind seit einigen Tagen in Ost- und Nordsee unterwegs. Die „Mikhail Dudin“ ist am Mittwoch im französischen Dunkerque angekommen. Die „Baltiyskiy 202“ soll ihren Zielhafen Rotterdam am Pfingstsonntag erreichen. Sie transportieren nicht irgendwas: Die Frachter bringen Uran aus St. Petersburg nach Westeuropa.

Anlässlich dieser Schiffstransporte haben diverse Umweltverbände und Anti-Atomkraft-Organisationen in einer gemeinsamen Pressemitteilung am Mittwoch Bundeskanzler Friedrich Merz dazu aufgefordert, die Atomgeschäfte mit dem Kreml zu beenden.

Trotz des Ukrainekriegs importiert Deutschland weiterhin Uran aus Russland. Im vergangenen Jahr waren es fast 70 Tonnen – das entspricht einem Anstieg um 66 Prozent. Das geht aus Daten des niedersächsischen Umweltministeriums hervor, die dem Spiegel vorliegen.

„Die EU hat seit Beginn des Ukraine­kriegs umfassende Sanktionen beschlossen und umgesetzt, aber Uran war immer ausgeschlossen“, erklärt Angelika Claußen. Sie ist Co-Vorsitzende der Internationalen Ärz­t*in­nen für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW). „Das liegt daran, dass die EU abhängig von russischen Brennelementen ist, also von dem Uran, das direkt geliefert wird.“

Direkte Mitfinanzierung des Kriegs

Mit Abhängigkeit meint Claußen, dass europäische Kernkraftwerke auf die Verbrennung russischen Urans angewiesen sind. Das müsse man beenden. Auch zum eigenen Schutz: „Russland sucht verschiedene Wege, die europäische Wirtschaft zu zerstören, wenn es dafür Möglichkeiten gibt“, sagt Claußen.

Doch nicht nur die europäische Abhängigkeit von Russland ist für die Verbände problematisch. Auch finanziere Westeuropa durch den Atomhandel mit Russland den Angriffskrieg auf die ­Ukraine direkt mit: „Präsident Putin kann seinen brutalen Krieg gegen die Ukraine auch deshalb fortsetzen, weil er aus seinen Atomgeschäften mit Westeuropa etliche Millionen Euro überwiesen bekommt“, sagt Alexander Vent von den „Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen im Emsland“.

Er hat deshalb hohe Erwartungen an den Bundeskanzler: „Merz hat schärfere Sanktionen gefordert, und auch, dass man mehr Waffen an die Ukraine liefern soll“, sagt Vent. „Waffen liefern ist eine Hilfe, aber es hilft auch, Russland nicht noch mehr Geld zu geben.“

Statt die Abhängigkeit von Russland zu reduzieren, wird in der Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen gerade eine engere Zusammenarbeit mit dem Kreml geplant. Das französische Unternehmen ­Framatome stellt hier Brennelemente her – bisher vor allem für den westeuropäischen Markt. Jetzt will es mit Rosatom, dem Atomkonzern des Kreml, zusammenarbeiten – ein „atomares Joint Venture“, wie es in der Pressemitteilung der Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen heißt.

„Atomkraftwerke in Osteuropa nutzen russisches Uran“, erklärt Vent. In der Fabrik in Lingen will Framatome jetzt Brennelemente herstellen, die auch für Kraftwerke in Osteuropa passen. „So sollen sie sich von Russland lösen, weil sie deutsch hergestellte Brennelemente nutzen können“, so Vent. Dafür sind jedoch russische Maschinen und Know-how nötig. Und das will sich Framatome aus Russland einkaufen.

Ob diese Zusammenarbeit genehmigt wird, ist noch nicht entschieden. „Das wird gerade diskutiert und zwischen dem niedersächsischen und Bundesumweltministerium hin- und hergeschoben. Aber die Entscheidung dazu wird bald erwartet“, so Vent.

Unklare Route durch die Ostsee

Gegen Framatomes Vorhaben waren 11.000 Einwendungen eingegangen, nachdem die niedersächsische Landesregierung die Unterlagen zur Planung öffentlich machte. Diese Bedenken habe auch eine dreitägige Anhörung im November vergangenen Jahres nicht beseitigen können, sagt Claußen: „Es fehlt an Sicherheitsvorkehrungen. Framatome will russische Technologie abkaufen und lässt damit Spionage zu.“

Welche Route die „Baltiyskiy 202“ nach Rotterdam nehmen wird, ist noch unklar. Online-Services prognostizieren anhand von Daten, die automatische Identifizierungssysteme von Schiffen in Echtzeit übertragen, eine Route. Diese ist bei dem russischen Atomfrachter in den vergangenen Tagen immer wieder zwischen dem Nord-Ostsee-Kanal (NOK) und der Umfahrung Dänemarks durch das Skagerrak gewechselt.

Das zuständige Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Nord-Ostsee-Kanal schreibt auf taz-Anfrage dazu: „Ob ‚Baltiyskiy 202‘ durch den NOK fährt, ist derzeit noch unklar – eine Anmeldung liegt bisher nicht vor. Am 20. Mai hat die EU das 17. Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet. Das Verbot für die im Sanktionspaket gelisteten Schiffe, Häfen und Schleusen in der EU anzulaufen, bezieht sich auch auf die Schleusen des NOK. Für Fahrzeuge, die nicht gelistet sind, besteht keine rechtliche Grundlage für ein Verbot. Sie dürfen den NOK passieren.“

Auf beiden Routen fährt die „Baltiyskiy 202“ auf der Ostsee in der Nähe von Rostock entlang. Rostock ist dieses Jahr der Ausgangspunkt für die „Baltic Operations“ (Baltops). Seit einigen Tagen üben vor allem Seestreitkräfte der Nato in der Ostsee für den Ernstfall.

Auf die Frage, ob von dem Transport selbst auch Gefahren ausgehen, antwortet Vent: „Über die Sicherheit vom Zustand der Schiffe und dem Transport des Gefahrenguts kann ich nichts sagen. Aber die Schiffe machen möglicherweise auch andere Dinge, als nur die ­Güter zu transportieren.“

Damit spielt er auf einen Vorfall an, den auch die Pressemitteilung der Umwelt- und Anti-Atom-Verbände thematisiert: Die „Baltiyskiy 202“ ist laut der Webseite vesselfinder.com im Oktober 2024 von ihrer Route abgewichen, über dem Unterseekabel zwischen Lettland und Schweden gekreist und erst nach der Annäherung eines Nato-Schiffs auf ihren Kurs zurückgekehrt. Drei Monate später sei dieses Kabel Ziel eines Sabotageakts geworden, heißt es in der Pressemitteilung.

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2 Kommentare

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  • Denkt denn keiner an die Hitzetoten durch die Verstromung von Kohle und Fracking-LNG in Deutschland, wenn Frankreich keinen Atomstrom mehr liefert? Die Klimakatastrophe scheint eine Katastrophe der besonderen Art zu sein, immer nur aktuell wenns grad passt.

  • Die Forderung ist begründet.



    Der Adressat ist falsch .



    Merz hat den Wunsch geäußert, wieder in Atomkraft einzusteigen, die Union wollte gar im Rückbau befindliche AKWs reaktivieren.So könnte auch eine Petition an trump gestellt werden für den Einsatz für mehr Demokratie.