Folgen von Kürzungen in Berlin: Leere Stühle, leere Kassen
Berlin spart massiv an der sozialen Infrastruktur. Dabei sind Ausgaben im Sozialbereich eine Investition, die sich auszahlt, wie eine neue Studie zeigt.

Bislang erhielt der Träger Pinel vom Bezirk 165.000 Euro pro Jahr für die KBS im S-Bahnhof Schöneberg. Eine Summe mit viel Wirkung: Von Montag bis Freitag können sich Menschen dort ohne große Hürden Hilfe suchen – etwa wenn sie sich einsam fühlen, psychisch erkrankt sind oder andere soziale Probleme haben. Rund 4.000 Mal wurde das im Jahr 2024 in Anspruch genommen. Außerdem stellt Pinel mit dem Geld ein umfangreiches Programm auf die Beine: zum Beispiel Yoga, eine Kunstgruppe und eben den Chor.
Wenn Pinel die KBS im S-Bahnhof schließen muss, gibt es künftig im gesamten Bezirk Tempelhof-Schöneberg nur noch zwei solcher niedrigschwelligen Anlaufstellen. Dabei ist jetzt schon die Nachfrage für psychosoziale Beratung und Hilfe viel höher als das Angebot. Und das hat Folgen, erklärt Klaus: „Vereinzelung und Vereinsamung führen zu gesundheitlichen Problemen. Die Leute fangen dann zum Beispiel an, Alkohol zu trinken. Und das kommt die Gesellschaft am Ende viel teurer zu stehen.“
Die KBS ist nicht das einzige psychosoziale Angebot, das der angespannten Haushaltslage zum Opfer fällt. Betroffen ist auch eine Frauenalkohol- und Medikamentenberatungsstelle sowie ein Projekt, das Menschen mit psychischen Erkrankungen sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten bietet, teilt Tempelhof-Schönebergs Bezirksstadtrat Oliver Schworck mit.
Jahr für Jahr bangen soziale Träger um ihre Existenz
Auch in anderen Bezirken kommt es zu Kürzungen der psychosozialen Angebote. Eine Sprecherin vom Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf spricht von „massiven Einschränkungen der ambulanten Versorgung“, die sich durch Kürzungen in Höhe von 200.000 Euro ergeben. Friedrichshain-Kreuzberg beklagt ein Minus von 160.000 Euro.
Dass die niedrigschwelligen, psychosozialen Angebote von den Kürzungen betroffen sind, liegt an dem Finanzierungsmodell. Die bedrohten Projekte fallen in den sogenannten „Zuwendungsbereich“. Das heißt, Jahr für Jahr müssen die Träger Mittel beantragen, vorausgesetzt, die notwendigen Gelder werden im Haushalt beschlossen.
„Es ist frustrierend, wie oft wir den entscheidenden Vorteil dieser wohnortnahen, ambulanten Versorgung, die einen präventiven Charakter hat, erläutern müssen“, klagt Caroline Böhm vom Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf, mit jedem Doppelhaushalt kämpfe der Bezirk erneut um die Mittel.
Kürzungen im Sozialbereich sparen vielleicht kurzfristig Geld, doch richten sie langfristig große Schäden an, warnen Expert:innen immer wieder im Zuge der Haushaltsdebatte. Doch lässt sich der Betrag quantifizieren und in einer Euro-Summe ausdrücken? Dieser Frage versuchte der Bezirk Pankow zumindest in Teilen zu beantworten. Am Montag stellte der Bezirk im Pfefferberg im Prenzlauer Berg zusammen mit acht Sozialunternehmen eine Studie zum gesellschaftlichen Mehrwert sozialer Arbeit im Bezirk vor.
Das Ergebnis der Studienautoren Bernd Halfar und Jürgen Zerth: Für jeden in soziale Angebote investierten Euro, der 2023 im Bezirk Pankow investiert wurde, flossen 51 Cent zum Bezirk zurück. Die Summe errechnet sich aus den Sozialabgaben und Steuern, die sich aus den Gehältern der Beschäftigten ergeben.
Weitere Rückflüsse ergeben sich durch Konsumausgaben der Beschäftigten (samt Mehrwertsteuer). Ein wesentlicher Faktor sind auch Vorleistungen, die die Träger bei anderen Unternehmen in Anspruch nehmen. So benötigt eine betreute Wohneinrichtung Reinigung, Catering und Inneneinrichtung.
In einem weiteren Schritt versuchten sich die Autoren der Frage zu nähern, welche gesellschaftlichen Auswirkungen die Angebote haben. Dazu wurde berechnet, wie viel Arbeitszeit Angehörige betreuungsbedürftiger Menschen durch Einrichtungen wie behinderten Werkstätte oder betreutes Wohnen gewinnen.
Dabei ist der Betrag noch recht konservativ berechnet, erklärt Jürgen Zerth. Nicht mit enthalten seien die präventiven und langfristige Effekte der Angebote, etwa wenn ein Mensch in Krisensituation die eigene Wohnung behalten kann. „Wir befinden uns mit der Analyse auf der untersten Ebene der Treppe“, sagt Zerth.
Anne Jeglinski, Paritätischer Wohlfahrtsverband
„Wir wissen natürlich, dass unsere Arbeit wirkt“, sagt Anne Jeglinski, Geschäftsführerin des paritätischen Wohlfahrtsverbands bei der Vorstellung der Studie. Doch „in der aktuellen Haushaltsdebatte müssen wir viel mehr an Daten, Zahlen und Fakten liefern“.
Die Erkenntnis, dass Kürzungen wie bei den psychosozialen Angeboten langfristig nur mehr Kosten verursachen, ist auch schon in die Senatsverwaltung für Finanzen durchgedrungen. „Finanzpolitisch ist es schon von Interesse, präventiv zu arbeiten“, sagt Verwaltungsbeamte Melanie Rubach bei einer Diskussion im Anschluss der Vorstellung, „aber haushaltspolitisch ist es sinnvoller, kurzfristig zu arbeiten“. Dieser Widerspruch müsse in Zukunft besser aufgelöst werden.
Die Studie des Bezirks offenbart auch, dass der Zuwendungsbereich extrem ineffizient ist. Bei zuwendungsfinanzierten Projekten beträgt der Rückfluss statt 51 Cent pro Euro nur 33 Cent. „Die soziale Rendite versinkt in Anträgen und Überprüfungen“, erklärt Studienautor Bernd Halfar.
Projekte wie Kontakt- und Beratungsstelle in Schöneberg sicher und langfristig zu finanzieren, würde nicht nur Klaus freuen, sondern wäre auch aus ökonomischer Perspektive sinnvoll. „Die Politik sollte unternehmerischer und langfristiger denken“, fordert Harald Thiel, kaufmännischer Vorstand der Stephanus Stiftung auf dem Podium.
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