Folgen von Atomkatastrophen: Keine Haftung für die Industrie
Die Hersteller von Kernreaktoren müssen weltweit nichts zahlen, wenn diese explodieren. Sie verdienen sogar an der Katastrophe, wie Greenpeace anprangert.
BERLIN taz | Der 57-jährige Masumi Kowata hat am 11. März 2011 alles verloren, als die Havarie des japanischen Atomkraftwerkes Fukushima I begann. Sein 300 Quadratmeter großes, vor 180 Jahren erbautes Haus stand fünf Kilometer entfernt von den Reaktoren, es ist unbewohnbar und wird es bleiben. Tepco, der Betreiber des AKW, hat ihm umgerechnet 5.600 Euro Entschädigung angeboten – ein Bruchteil des Wertes.
Diese Geschichte findet sich in einer neuen Studie von Greenpeace zu der Frage, wer die Schäden zahlt, wenn Atomkraftwerke ganze Landstriche unbewohnbar machen. 160.000 Menschen mussten in Japan evakuiert werden, Zehntausende flohen freiwillig, noch heute warten sie auf eine angemessene Entschädigung, klagt Greenpeace an. Zudem trägt die Lasten komplett der japanische Steuerzahler. Die Schadensansprüche an den Betreiber Tepco sind so hoch, dass das Unternehmen im vergangenen Jahr verstaatlicht werden musste.
Die Hersteller der Reaktoren sind dagegen fein raus: Insgesamt sechs Atommeiler stehen am Standort Fukushima I, fünf davon beruhen auf dem Design Mark I der US-Firma General Electric, die drei Reaktoren lieferte, zwei kamen von Toshiba, einer von Hitachi. Die Firmen sind in keiner Weise haftbar für die Katastrophe. Im Gegenteil: „Sie verdienen sogar daran“, schreibt Greenpeace – und zwar an der Dekontaminierung des Gebietes und dem Abriss der Kraftwerke. Greenpeace zitiert GE-Ingenieure, die bereits in den 70er Jahren zweifelten, ob ein Mark-I-Reaktor einem Ausfall der Kühlung lang genug standhalten könnte.
Die Schäden zahlt in dem Fall fast überall die Allgemeinheit. „Die Menschen tragen das finanzielle und gesundheitliche Risiko einer atomaren Katastrophe, während die Atomindustrie den Profit einsackt. Dieses System muss dringend geändert werden“, sagte Tobias Riedl, Atomexperte von Greenpeace.
In Deutschland sind die Betreiber prinzipiell in unbegrenzter Höhe haftbar, müssen den Schaden allerdings nur bis zu einer bestimmten Summe versichern. Was eigentlich egal ist: Die Versicherungsforen Leipzig errechneten in einer Studie für den Bundesverband Erneuerbare Energien im Jahr 2011, dass ein Super-GAU in Deutschland Schäden in Höhe von 150 Milliarden bis 6 Billionen Euro verursachen könnte. Kein Unternehmen der Welt könnte dafür aufkommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“