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Folgen des Abgasskandals bei VWBund will Flensburg entmachten

Justizminister Maas zieht Konsequenzen aus dem Abgasskandal. Das Kraftfahrtbundesamt soll sich künftig auch um Verbraucherschutz kümmern.

Amtshilfe: Für Abgastests soll künftig auch das Umweltbundesamt zuständig sein. Foto: dpa

Berlin taz | Da das Flensburger Kraftfahrtbundesamt (KBA) die Behörde ist, die bundesweit Knöllchen verwaltet, haben viele Autofahrer Respekt vor „Flensburg“. Die Autoindustrie braucht diesen offenbar nicht. Noch nicht. Weil vier Monate nach Bekanntwerden des Abgasskandals die 2,4 Millionen betroffenen Besitzer eines Dieselautos aus dem Volkswagen-Konzern in Deutschland immer noch nicht wissen, was mit ihrem Fahrzeug passiert, droht „Flensburg“ nun die Entmachtung.

Da die Behörde mit 660 Mitarbeitern in der VW-Affäre viel zu zahnlos agierte, prüft Bundesverbraucherminister Heiko Maas (SPD) „Konsequenzen für den Aufgabenbereich des KBA“ – das geht aus einem Bericht an den Verbraucherausschuss des Bundestags hervor.

Danach soll künftig auch der Verbraucherschutz ein Ziel des KBA werden, schreibt das Handelsblatt. Um Umweltschutzbelange bei Autozulassungen stärker zu berücksichtigen, solle das Umweltbundesamt dem KBA bei Kfz-Tests „zur Seite gestellt werden“. Klartext: Das KBA soll die Zuständigkeit teilweise verlieren, weil es zu industriefreundlich getestet hat.

Zudem soll eine neue „Digitalagentur“ dafür sorgen, dass das KBA und andere Bundesbehörden künftig besser Schwachstellen moderner Technik prüfen können. Es sei „nicht akzeptabel, dass ein Unternehmen Software einbaut und die Institutionen nicht ausreichend in der Lage sind, sich anzugucken, wie sie funktioniert“, sagte Maas’ Staatssekretär Gerd Billen zur Kieler SHZ. Es müsse „unabhängige Institutionen geben, die sich das angucken können“. Dass der TÜV zum Prüfen einfach eine Sonde in den Auspuff stecke, genüge nicht mehr – „das ist ja 19. Jahrhundert“.

Sonde in den Auspuff – das ist ja 19. Jahrhundert

Gerd Billen, Staatssekretär

Vorbild ist die amerikanische Behörde FTC

In der Agentur sollen vor allem Techniker und Ingenieure arbeiten. Vorbild ist die schlagkräftige amerikanische Verbraucherschutz- und Wettbewerbsbehörde FTC. Die Agentur solle unterstützend wirken, erklärte Billen. Das KBA etwa könnte dann womöglich früher Softwaretricks bei Autos aufdecken und dem Hersteller sagen: „Lass das mal – das wird sonst teuer.“ Auch der Aufbau einer Schlichtungsstelle, die künftig Streitfälle zwischen Kunden und Autokonzernen außergerichtlich klären soll, ist geplant.

Ungemach droht dem Bundesamt auch von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die Umweltorganisation reichte eine Untätigkeitsklage gegen das KBA wegen des Anspruchs auf Informationserteilung ein. Das Amt habe zwar Mitte Oktober einen Rückruf der in Deutschland betroffenen Fahrzeuge angeordnet, aber der KBA-Dienstherr, Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), habe sich bislang nicht zu Details des Rückrufs geäußert. Die Autohalter hätten einen Anspruch darauf zu wissen, „welche Veränderungen der Leistungs-, Spritverbrauchs-, CO2- sowie sonstiger Emissionswerte mit der Nachrüstung verbunden sind“.

Die Behörden in den USA und nun auch in Frankreich gingen hart gegen Autokonzerne vor, sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Dobrindts Ministerium habe bereits „seit Ende November Messdaten von über 50 Fahrzeugen sowie im Rahmen der Rückrufverfügung detaillierte Angaben über das Fehlverhalten der VW-Betrugsdiesel vorliegen“, diese würden dennoch „bis heute rechtswidrig geheim gehalten“, sagte Resch.

Auch VW erklärte am Montag, man warte auf das KBA – auf die Freigabe der ersten Rückrufaktion des Konzerns. Volkswagen wollte eigentlich Ende dieser Woche zuerst die Diesel-Pick-ups vom Typ Amarok in der Werkstatt umrüsten.

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3 Kommentare

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  • Im Rahmen des sich gegenwärtig noch verschärfenden neoliberalen Systems sind all diese Ankündigungen und Aktionismen und cleveren Bezeichnungen ("Digitalagentur") nur warme Luft. Es sind dieselben Kräfte - die von Industrie und Banken - welche die Fäden ziehen. Jetzt wird nur verschleierndes Informationsmanagement betrieben.

     

    Dasselbe bei der Lösung des Abgasproblems in den Städten und beim scheiternden Tempolimit. Und es ist gleichgültig wer an der Regierung ist. Der baden-württembergische grüne Verkehrsminster Hermann sagt mit einem Tempolimit in D sei es wie mit den Waffenkontrolle in den USA. Nicht durchsetzbar.

     

    Eben, nicht durchsetzbar wegen der mächtigen Lobbys mit denen anzulegen sich kein Politiker bzw. Politikerin (es sind doch angeblich Power-Frauen vorhanden...) traut. Im Gegenteil, Frau Merkel bekämpft strengere Werte. Und die Grünen Papiertiger, allen voran Winfried Kretschmann, halten, einmal an die Macht gekommen, sowieso den Mund.-

     

    Bei HartzIV hat auch niemand gefragt ob es den Betroffenen konveniert - die hatten keine Lobby. Da war Gesetzgebung möglich.

    • @Ulrich Frank:

      Man kann natürlich jedes unerwünschte Ereignis mit Neoliberalismus verbinden, aber die Wahrheit ist doch sehr viel einfacher:

       

      Es gibt eine EU-Richtlinie (70/220/EWG), die den Fahrzyklus für die Ermittlung der Emissionswerte regelt. Diese Richtlinie wurde (natürlich) von den dafür zuständigen Politikern beschlossen.

       

      Die Flensburger Behörde hatte da höchstens beratende Funktion, muss als Behörde aber entsprechend dem beschlossenem Unsinn arbeiten.

       

      Deshalb stellt sich doch die Frage: Warum beschließen Politiker, nur als Beispiel, "sizilianische" Umgebungstemperaturen von 30 Grad für einen "Kaltstart" (!), der mit deutschen Umgebungsverhältnissen nichts zu tun hat?

       

      Vielleicht liegt die Antwort im immer geringer werdenden Verständnis für Naturwissenschaft und Technik, in der Gesamtbevölkerung, ganz speziell aber bei Politikern. Wie hat mir ein (in dem Fall grüner) Nachwuchspolitiker im letzten Jahr mal gesagt: Wozu muss ich mich mit Naturwissenschaft beschäftigen, dafür gibt es die Anhörungen von Fachleuten. Denke, die meisten Politiker aller Fraktionen denken ähnlich.

       

      Mehr zu den unsinnigen Festlegungen des Fahrzyklus unter https://de.wikipedia.org./wiki/Fahrzyklus. Und bitte schreib jetzt keiner, das war zu schwierig zu erkennen, dass ein Fahrzyklus bei 30 Grad andere Ergebnisse bringt als bei 15 oder 20 Grad!

      • @Martin74:

        Die EU ist keine Naturgewalt, sondern der Ort, an dem sich unsere treusorgenden Politiker für uns engagieren - sollten, aber es für ihre Lobby tun. (Und natürlich würden sie national mit freier Bahn auch nicht plötzlich zu Verbraucherschützern.)