Flusssäure-Urteil: Hysterische Reaktion
Kommentar
Die Flusssäureanschläge sind für die Boulevardmedien in den nachrichtenarmen Sommerwochen ein gefundenes Fressen. Seit Wochen wird jeder einzelne Vorfall dermaßen aufgebauscht, dass so manch Berliner bereits in Panik verfällt, wenn er in der U-Bahn mit einer Glasscheibe auch nur in Berührung kommt. Doch nun hat die Hysterie auch das Amtsgericht Tiergarten erfasst. Dort wurde ein 24-jährige so genannter "Etcher" zu der verhältnismäßig hohen Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung verurteilt. Dieses horrende Strafmaß geht eindeutig zu weit.
Ohne die gesundheitlichen Schäden zu verharmlosen, die beim Kontakt mit dieser giftigen Säure drohen: Wenn selbst das Landeskriminalamt beschwichtigt, kann das Ausmaß nicht so dramatisch sein. Denn seitdem allgemein bekannt geworden ist, welche gesundheitlichen Gefahren von Flusssäure ausgeht, ist die Zahl der Schmierereien mit dieser giftigen Substanz deutlich zurück gegangen. Zählte die Polizei im vergangenen Jahr noch insgesamt 220 Vorfälle dieser Art, sind in diesem Jahr bisher lediglich 52 Anschläge aktenkundig geworden.
Was uns diese Zahlen sagen? Dass die Graffiti-Szene selbst am besten imstande ist, das Problem in den Griff zu kriegen. Sprayer bewegen sich mit ihrer Straßenkunst bewusst nicht im gesetzlichen Rahmen. Aber so sehr sie auf den Nervenkitzel stehen - die Gefährdung anderer Menschen gehört nicht zu ihrer Doktrin. Dass offenbar einige Mitglieder der Szene die gefährliche Substanz dennoch verwenden, ist wohl auf Unwissenheit zurück zu führen. Viele von ihnen sind inzwischen informiert.
Daraus könnte man schließen, dass die Hysterie der Boulevardmedien durchaus zur Sensibilisierung innerhalb der Szene beigetragen hat. Mag sein. Das heißt allerdings noch lange nicht, dass auch ein Gericht diesen Panikblättern Folge leisten und entsprechende Urteile fällen muss.
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