Flughafen Tempelhof: „Kaum einer weiß, was hier geschehen ist“
Zwangsarbeiter, die Flugzeuge bauten, das KZ Columbia: Topographie des Terrors plant eine neue Ausstellung über die düstere Geschichte des Flughafens Tempelhof.
taz: Herr Nachama, die Topographie des Terrors plant für 2018 das Ausstellungsprojekt „Geschichte des ehemaligen Flughafens Tempelhof“. Ihre Stiftung ist eine Dokumentationsstätte des Terrors in der Zeit des Nationalsozialismus. Was hat sie denn mit Tempelhof zu tun?
Andreas Nachama: Wer nach Tempelhof kommt und vor dem Gebäude steht, sagt erst mal „wow“, aber kaum einer weiß, was hier genau geschehen ist. Es gibt grausame, tragische, aber auch spannende Geschichten, die das Tempelhofer Feld erzählt. Nur die wenigsten kennen die sehr unterschiedlichen Nutzungen des Areals in der NS-Zeit zwischen 1933 und 1945.
Erzählen Sie mal, was zu dieser Zeit dort geschah.
Zwischen 1934 und 1936 befand sich hier das KZ Columbia mit einer durchschnittlichen Belegung von 400 Häftlingen, das heißt zwei bis drei Häftlinge pro Einzelzelle. Zudem mussten mehrere tausend Zwangsarbeiter hier während des Zweiten Weltkriegs Flugzeuge für die Lufthansa AG und die Weser-Flugzeugbau GmbH bauen. Diese Leute wurden in Baracken untergebracht. Lauter solche Dinge wollen wir erzählen. Kaum einer weiß, dass es im Flughafengebäude ein Filmlager mit Nitrofilmmaterial gab, das am Ende des „Dritten Reichs“ in Brand geraten ist. Die Brandspuren kann man heute noch sehen und riechen.
ist geschäftsführender Direktor der Stiftung Topographie des Terrors und Leiter des Dokumentationszentrums.
Wie kam es dazu, dass die Topographie auf dem Tempelhofer Feld ausstellen soll?
Die Stiftung Topographie des Terrors hat auch die Aufgabe, den Berliner Senat zu beraten, wenn Orte mit NS-Bezug in der Stadt zu markieren sind. Bei dem Projekt Tempelhof haben wir einen Runden Tisch koordiniert. Folglich kam der Berliner Senat im März dieses Jahres auf uns zu. So werden wir im Rahmen des anstehenden Kulturerbejahres, das die Europäische Kommission initiiert hat, eine publikumswirksame Präsentation zum Thema Flughafen Tempelhof erstellen.
Wird allein die Geschichte der NS-Zeit ausgestellt?
Die Europäische Kommission hat das Themenjahr initiiert, das Europäer an ihre gemeinsamen kulturellen Wurzeln erinnern soll. Im Mittelpunkt des Projekts steht das bauliche und archäologische Erbe.
Unter dem Motto „Sharing Heritage“ werden zwei Berliner Projekte unterstützt. Neben der Tempelhof-Ausstellung fördert die EU das Projekt „Das Erbe der Industriekultur“, erarbeitet von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin in Kooperation mit dem Berliner Zentrum Industriekultur. (max)
Ich würde sagen, 50 Prozent des Ausstellungsumfangs wird die NS-Zeit dokumentieren. Aber es soll auch ein lebendiges Bild der Nachkriegszeit erzählt werden, das bis zu den gegenwärtigen Entwicklungen nach der Schließung 2008 reicht.
Was wird hier thematisiert?
Also ganz so klar ist das alles noch nicht, denn das Projekt kann erst beginnen, wenn die Mitarbeiter an die Arbeit gehen. Aber es geht beispielsweise um die entführten polnischen LOT-Flugzeuge. Dreizehnmal – zwischen 1963 und 1983 – landeten Maschinen der Fluggesellschaft in Tempelhof, weil die Menschen auf diese Weise aus dem sozialistischen Polen flüchteten. Man wird hoffentlich viele spannende Details erfahren.
Es gibt doch bereits Führungen über das Gelände zur Tempelhofer Geschichte. Zudem finden weitere Planungen statt. Der Senat unterstützt etwa die Eröffnung einer Ausstellungs-Terrasse. Weshalb braucht es da noch eine weitere?
Das ist ja alles touristisch und so etwas wie die Hungerharke (das Luftbrückendenkmal, Anm. d. Red.), die da steht, sagt nichts darüber aus, was da eigentlich ablief. Unsere Dokumentation soll etwas Nachhaltiges schaffen, einen Teil der Berliner Stadtgeschichte präsentieren. Auch wenn die Stiftung Topographie hier keine permanente Außenstelle errichtet.
Tut sie nicht?
Nein. Das Vorhaben wird hauptsächlich von der Europäischen Union finanziert, die das Kulturerbejahr 2018 fördert. Im September nächsten Jahres soll die Ausstellung eröffnet werden und bis Ende 2018 wird das Vorhaben gefördert. Heißt: Innerhalb des ersten Halbjahres 2019 wird unsere Arbeit dort weitestgehend zu Ende sein.
Und damit auch die Erinnerungsstätte geschlossen?
Nein, die Sache ist auf Nachhaltigkeit angelegt. Wir hoffen auf ein Shake hands mit anderen Organisationen, die dieses Projekt dann fortführen. Denn der gesetzliche Auftrag der Stiftung ist es nicht, dauerhaft an Orten außerhalb des Geländes der Topographie auszustellen.
Das Tempelhofer Feld misst über 300 Hektar. Wo soll denn da ausgestellt werden?
An einem möglichst zentralen Ort, vielleicht im Eingangsbereich des Flughafengebäudes oder auf dem, von den Nazis „Ehrenhof“ genannten, Vorplatz. Das ist aber noch nicht entschieden.
Und wie wollen Sie die Geschichte des ehemaligen Flughafens erzählen?
Die Dokumentation wird sicher nicht museal aufgebaut sein. Wir planen eine Vortragsreise mit Zeitzeugen der Nachkriegszeit, beispielsweise damals hier stationierten Amerikanern, möglicherweise dem ein oder anderen Sowjetsoldaten, der in der Alliierten Luftsicherheitszentrale Dienst getan hat. Dazu sollen Fotos in Text-Bild-Tafeln gestaltet werden.
Sie haben Stellen für drei wissenschaftliche Mitarbeiter ausgeschrieben. Die Planung wird dann Ihre Aufgabe?
Zum Teil. Der eine soll sich auf die Zeit bis zum 8. Mai 1945 fokussieren, der andere befasst sich mit der Zeit danach; also von der Wiederaufnahme des Flugverkehrs nach dem Krieg bis hin zur Gegenwart. Ein weiterer Mitarbeiter soll sich mit dem pädagogischen Aspekt befassen, etwa wie Geflüchtete oder junge Leute an dieses Thema herangeführt werden.
Was muss denn bis zum Ausstellungsbeginn im September 2018 noch erforscht werden?
Zum Forschen im Sinne von Archivforschungen werden wir keine Kapazitäten haben.
Dabei klingt Herbst 2018 noch so fern.
Alleine die technische Herstellung einer Ausstellung dauert ein halbes Jahr. Das, was der Stand der Forschung hergibt, wird innerhalb von sechs Monaten zusammengetragen und in eine verständliche Form gebracht. Wenn’s gut geht, haben wir in einem Jahr eine Ausstellung mit überzeugenden und überraschenden Inhalten.
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