Topographie des Terrors in Berlin: In den Fängen der Gestapo

Am 26. April 1933 gründeten die Nazis ein polizeiliches Amt zur Bekämpfung politischer Gegner. Im „Hausgefängnis“ der Gestapo wurden Tausende eingesperrt.

Direkt an der Mauer: die Topographie des Terrors Foto: dpa

Da war zum Beispiel Eberhard Hesse. Der gebürtige Rixdorfer war seit 1930 Mitglied der SPD und der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ). Weil er zusammen mit anderen Berliner SAJ-Führern am Aufbau eines konspirativen Widerstands gegen den erstarkenden Nationalsozialismus arbeitete, wurde er bereits am 11. April 1933 aus der SPD ausgeschlossen – zwei Monate vor deren faktischem Verbot. Von den Nazis wurde Hesse im April 1936 als Mitglied der marxistischen Gruppe „Neu Beginnen“ verhaftet und in die Prinz-Albrecht-Straße 8 gebracht (heute Niederkirchnerstraße, Mitte).

Dort war seit dem 26. April 1933 das Geheime Staatspolizeiamt ansässig. Dieses neue, aus der allgemeinen Polizei her­ausgelöste Amt wurde in der ehemaligen Kunstgewerbeschule untergebracht. Seinen Ruf als „gefürchtetste Adresse“ der Stadt bekam es, als die Gestapo schon bald im Südflügel des Gebäudes ein „Hausgefängnis“ einrichtete. Bis zu 15.000 politische Gegner waren hier zwischen 1933 und 1945 inhaftiert, vor allem solche, an deren Vernehmung die Gestapo ein erhöhtes Interesse hatte. Viele Gefangene wurden gefoltert, was die Gestapo beschönigend „verschärftes Verhör“ nannte.

In unmittelbar benachbarte Gebäude zogen in den folgenden Jahren der Sicherheitsdienst der SS (SD) und das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) ein, hier war zudem der Dienstsitz vom Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei, Heinrich Himmler. Die Machtzentren des NS-Terrors inklusive der Organisatoren des Holocaust waren unter dieser Adresse versammelt, die heute als „Topographie des Terrors“ durch die gleichnamige Ausstellung bekannt ist.

Andreas Sander hat fast dreißig Jahre lang für die Topographie gearbeitet und sich viele Jahre mit dem „Hausgefängnis“ befasst. Ein Problem für dessen Erforschung sei, erzählt er, dass von den geschätzt 15.000 Inhaftierten erst 3.000 Namen bekannt seien. Die Quellenlage sei äußerst schwierig, da die Gestapo die meisten Haftbücher bis auf eines kurz vor Kriegsende vernichten konnte. „Damit muss man umgehen als Historiker, dass man in den Archiven immer nur auf Fragmente stößt.“ Immerhin sind auch einige Ermittlungsunterlagen der Gestapo erhalten mit rund 500 erkennungsdienstlichen Fotos von Inhaftierten.

Über Eberhard Hesses Haft weiß man aufgrund der Aktenlage relativ viel. Einen Tag nach seiner Festnahme wurde er ins Konzentrationslager ­Columbia am Tempelhofer Flughafen überstellt. Eine solche Eintageshaft sei zu dieser Zeit häufig vorgekommen, erklärt Sander, denn die Gestapo habe das KZ Columbia bis 1936 als Haftort genutzt. „Häftlinge, die in der Prinz-Albrecht-Straße 8 vernommen worden waren, wurden tagtäglich zwischen beiden Orten hin- und hertransportiert.“

Erhalten ist auch der „Schutzhaftbefehl“ vom 24. 4. 36 gegen Hesse. Dort heißt es, er habe sich „unter dem Decknamen ‚Keil‘ für die illegale revolutionäre Organisation ‚Milesgruppe‘ [besser bekannt als Neu Beginnen, Anm. d. Red.] betätigt und mehrfach an Wohnungszusammenkünften teilgenommen. Außerdem hat er Beiträge entrichtet und einkassiert.“ Ende Mai 1936 kam Hesse in Untersuchungshaft (vermutlich in Moabit), Anfang 1937 wurde er in einem Gruppenprozess gegen „Neu Beginnen“ zu eineinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt.

Veranstaltung „Vor 85 Jahren: Die Gründung des Geheimen Staatspolizeiamts“; mit einem Vortrag von Andreas Sander über das „Hausgefängnis“ der Gestapo-Zentrale als Forschungsfeld, 26. April, 19 Uhr, Topographie des Terrors

Verabschiedung Im Rahmen der Veranstaltung verabschiedet die Stiftung Sander nach fast 30 Jahren Arbeit für die Topographie in den Ruhestand.

Nachdem die Prinz-Albrecht-Straße im Bombenhagel des Krieges weitgehend zerstört wurde, fiel das, was dort gemacht worden war, zunächst dem Vergessen und Verdrängen anheim. Erst im Zuge der 750-Jahr-Feier Berlins im Jahr 1987 begann die Aufarbeitung der Geschichte der „Topographie des Terror“ – und Historiker Sander wurde eingestellt, um Interviews mit ehemaligen Inhaftierten zu führen: „Das war damals schon höchste Zeit, viele Zeitzeugen waren sehr betagt.“

43 ehemalige Häftlinge habe er noch sprechen können, erzählt er – vor allem Vertreter der politischen Linken (KPD, SPD, Sozialistische Arbeiterpartei), aber auch aus der Gruppe vom 20. Juli 1944 und Mitglieder der Widerstandsgruppe Rote Kapelle. Für seine Forschungen seien dabei zwar keine fundamental neuen Erkenntnisse herausgekommen, so Sander. „Solche Interviews sind Ergänzungen, etwa für Akten oder Vernehmungsprotokolle, die ich im Archiv finde. Wenn eine Person schildert, wie eine solche Vernehmung gelaufen ist, wie das atmosphärisch war, dann bekommen wir als Zuschauer aus diesen beiden Quellen erst die Möglichkeit, uns wirklich damit auseinanderzusetzen.“

Sehr eindrücklich ist etwa die Schilderung, die der Schriftsteller Günther Weisenborn von seiner Haftzeit gab (sie wird im Katalog zur Ausstellung zum „Hausgefängnis“ zitiert): „Wenn man seine Tage damit verbringt, gefesselt in einer absolut ungeheizten Kellerzelle ohne ein Buch, hungrig, fast im Dunkeln auf seinem Schemel zu sitzen, wird man fast verlegen darüber, wie weit es die Menschheit gebracht hat.“

Bis zu 15.000 politische Gegner waren hier zwischen 1933 und 1945 inhaftiert. Viele Gefangene wurden gefoltert

Eberhard Hesse wurde nach seiner Haft zum Kriegsdienst eingezogen und verbrachte zwei Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg hatte er verschiedene Funktionen in der Berliner SPD inne bis zum Abgeordneten, zudem war er von 1947 bis 1974 Geschäftsführer des SPD-nahen August-Bebel-Instituts.

Über seine Erlebnisse in der Prinz-Albrecht-Straße hat er mit Sander nicht mehr sprechen können. Er starb 1986.

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