Flüchtlingszelte aufs Tempelhofer Feld?: Feldrandbebauung light
Auf dem früheren Flughafengelände sollen nach dem Willen des Senats Flüchtlingsunterkünfte entstehen. Das Volks-Gesetz müsste dafür korrigiert werden.
![](https://taz.de/picture/777046/14/tragluft_360554920.jpeg)
Der Senat hat einen Medienbericht bestätigt, wonach er Flüchtlinge am Rande des Tempelhofer Felds unterbringen will. Laut Vize-Regierungssprecher Bernhard Schodrowski geht es um Traglufthallen, nicht um feste Gebäude. Doch auch dafür müsste das Abgeordnetenhaus erst das Bauverbot lockern, das seit dem erfolgreichen Volksentscheid vom Mai 2014 für das frühere Flugfeld gilt. Die baupolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Iris Spranger, kündigte gegenüber der taz Zustimmung zu einer Gesetzesänderung an, sofern es bei derartigen Hallen bleibe. Aus CDU-Kreisen war hingegen Skepsis zu hören. Oppositionsvertreter lehnten den Vorschlag durchweg ab.
Die Morgenpost hatte am Donnerstag berichtet, der Senat prüfe derzeit, auf dem Tempelhofer Feld Unterkünfte zu errichten. Sie sollen am westlichen Rand längs des Tempelhofer Damms auf einem 200 Meter breiten Streifen entstehen. Dort hatten die vom Volksentscheid vor eineinhalb Jahren gestoppten Baupläne des Senats rund 1.700 Wohnungen vorgesehen. Der Vorschlag kommt aus der Senatskanzlei von Regierungschef Michael Müller, verantwortlich ist Staatssekretär Björn Böhning (beide SPD).
Böhning schlägt vor, das „Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes“ um einen Absatz zu ergänzen, der die Traglufthallen dort erlauben würde. In jetziger Form untersagt das Gesetz in § 5 „Gebäude und Bauwerke zu errichten“ und „bauliche Anlagen“ herzustellen. Verboten ist gemäß § 8 zudem auch „jede Form von Camping und provisorischen Behausungen“.
Gesetz nicht aushebeln
Von der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus war zu hören, ihr liege kein entsprechender Entwurf vor, weshalb man auch keinen Kommentar abgeben könne. Der Vorschlag soll am Dienstag im Senat in vertraulicher Sitzung kurz vorgestellt, aber noch nicht beschlossen worden sein. Hinter vorgehaltener Hand hieß es bei den Christdemokraten, die Flüchtlingsunterbringung dürfe nicht dazu genutzt werden, das Tempelhof-Gesetz auszuhebeln.
Das will auch SPD-Baupolitikerin Spranger nicht. „Für dauerhafte Bauten oder Container fasse ich das Gesetz nicht an“, sagte sie der taz, „aber wir müssen die Flüchtlinge doch über den Winter bringen“. Wieder abbaubare Traglufthallen sind für sie immer noch besser, als immer mehr Sporthallen zu Unterkünften umzufunktionieren und sie damit Schulen oder Vereinen zu nehmen.
Grüne, Linke und Piraten im Abgeordnetenhaus lehnten jegliche Veränderung am Tempelhof-Gesetz ab. „Der Senat darf die dringend notwendige Flüchtlingsunterbringung nicht gegen den Volksentscheid ausspielen“, sagte Antje Kapek, die Chefin und Stadtentwicklungsexpertin der Grünen-Fraktion. Es gebe eine Reihe von Grünflächen, die man eher nutzen könne, etwa die vor dem Reichstag. Auch für Linksfraktionschef Udo Wolf versucht der Senat erneut, das Ergebnis des Volksentscheids zu korrigieren, statt andere Immobilien als Unterkünfte zu nutzen – etwa wie von seiner Fraktion vorgeschlagen das frühere „Haus der Statistik“ am Alexanderplatz.
Für Piraten-Fraktionschef Martin Delius lösen Traglufthallen grundsätzlich nicht das Problem. „Zynisch“ nennt er es, aus der Flüchtlingssituation Kapital schlagen zu wollen. Es sei auch der falsche Weg, am Tempelhofer Feld, nur wenige Meter von den bereits als Groß-Unterkünften genutzten Hangars, noch stärker massenhaft Menschen unterzubringen.
Leerstehende Bürofläche
Die Initiative „100% Tempelhofer Feld“, die den Volksentscheid auf den Weg brachte, spricht sich ebenfalls gegen den Senatsplan aus. Sie verweist darauf, dass in Berlin fast eineinhalb Millionen Quadratmeter Bürofläche leer stünden, die sich als Unterkunft nutzen ließen. Der frühere Kopf der Initiative, Felix Herzog, schlug vor, Zelte oder Traglufthallen nicht auf dem geschützten früheren Rollfeld, sondern auf dem betonierten Vorfeld des Flughafengebäudes zu errichten, wo das THF-Gesetz nicht gelte.
Von der Grundidee her ist es für den Verein „Mehr Demokratie“ nicht ausgeschlossen, das Ergebnis eines Volksentscheids zu verändern. „Tatsächlich könne es sinnvoll sein, die Debatte nochmal zu öffnen, wenn sich die Umstände deutlich geändert hätten“, äußerte sich der Sprecher Oliver Wiedmann. „Allerdings darf der Volksentscheid nicht einfach gekippt werden, sondern die Bürger müssen erneut die Möglichkeit zur Abwägung und Diskussion bekommen.“
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