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Flüchtlingsverein von Politik genervt„Moabit hilft“ verlässt Moabit

Der Berliner Hilfsverein will nicht länger Mieter einer teuren Landesimmobilie sein und seine Arbeit künftig ohne physische Anlaufstelle fortführen.

Klienten schauen sich in der Kleiderkammer von „Moabit hilft“ um (Foto von 2016) Foto: dpa

Berlin taz | Nach monatelangen Verhandlungen über eine Verlängerung des Mietvertrags hat „Moabit hilft“ die Faxen dicke: Trotz eines verbesserten Angebots der landeseigenen Berliner Immobilien Management GmbH (BIM) beschloss der Verein am Mittwochabend, aus der Turmstraße 90 in Mitte ausziehen.

Ein Betriebskostenanteil von über 1.000 Euro sei zu hoch, zudem habe die BIM an ihr Angebot unannehmbare Bedingungen geknüpft, sagte die Vereinsvorsitzende Diana Henniges am Donnerstag der taz. „Wir verlassen diesen Ort – aber wir machen weiter.“ Die Beratung und Begleitung von Flüchtlingen werde fortgesetzt, ebenso die politische Arbeit, mit der man seit über zehn Jahren „als Stimme der Menschen“ Missstände öffentlich macht. Die Kleiderkammer und Anlaufstelle müssten allerdings schließen, so Henniges.

Im März war bekannt geworden, dass die BIM dem Verein zum 1. Juni gekündigt hat. Seit zehn Jahren arbeitet „Moabit hilft“ in wechselnden Räumen auf dem Gelände des Gesundheits- und Sozialzentrums Turmstraße 90. 2018 lief der Mietvertrag mit der BIM aus und wurde nur noch „stillschweigend“ verlängert.

Dennoch zahlte der Verein weiter 2.400 Euro Miete für 200 Quadratmeter – und investierte laut Henniges über 40.000 Euro für die Instandhaltung. Auf ihre Bitte um Verlängerung des Vertrags habe die BIM sie über vier Jahre lang hingehalten und dann erklärt, der Verein müsse gehen. Gleichzeitig gab die BIM zu, es gebe „derzeit noch keinen konkreten Nachnutzer“.

Politischer Druck hat gewirkt

Vor knapp zwei Wochen hatte die BIM laut Henniges plötzlich doch einen 5-Jahres-Vertrag vorgeschlagen und eine „Kostenmiete“ von rund 1.200 Euro, vor allem für Betriebskosten. Offenbar hatte der politische Druck seit Bekanntwerden der Kündigung gewirkt: Im Abgeordnetenhaus hatte sich Finanzsenator Steffen Evers (CDU), dem die BIM formal untersteht, heftige Kritik von Linken und Grünen anhören müssen, die öffentliche Empörung in den sozialen Medien war groß.

Dass die BIM sich auf „Moabit hilft“ zubewegte, brachte noch einmal Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen. Doch am Ende war das Angebot für eine Mehrheit der zwölf stimmberechtigten Vereinsmitglieder nicht gut genug. Vor allem habe sie die Bedingung gestört, „dass wir sämtliche Rechnungen und Kontoauszüge zu unseren Renovierungsausgaben vorlegen – um diese mit dem reduzierten Mietpreis gegenrechnen und so die Unterstützung formell legitimieren zu können“, so Henniges.

Dies hätte die Unabhängigkeit des Vereins gefährdet, befanden die Mitglieder. „Unsere Unabhängigkeit – gerade im Umgang mit Mitteln und Ressourcen – ist ein grundlegender Bestandteil unserer Arbeit.“

Es habe zuletzt sogar mehrere Angebote von Privaten für gute Räume gegeben, so Henniges, aber man wolle überhaupt keine größeren Immobilien mehr anmieten und hohe finanzielle Verpflichtungen eingehen. „Wir wollen nicht mehr jedes Jahr mühsam tausende Euro Spenden sammeln müssen nur für Miete, während wir strukturelle Arbeit für diese Stadt leisten.“

Ehrenamtliche Arbeit unter schweren Bedingungen

Bei „Moabit hilft“ arbeiten laut Henniges neun Menschen in der Sozial- und Asylverfahrensberatung, die meisten schon länger im Homeoffice oder punktuell in Co-Working-Spaces. Die Berater, auch Henniges selbst, bekommen vom Verein lediglich eine Aufwandsentschädigung und müssen alle „nebenher“ Jobs machen. Weitere Mitglieder, vor allem ehemalige Flüchtlinge, betreuen ehrenamtlich Geflüchtete in den Unterkünften, begleiten sie teilweise über Jahre.

Der Sprecher der Grünen-Fraktion für Sozialpolitik, Taylan Kurt, nannte die Entscheidung, die Räume aufzugeben, „traurig für das solidarische Berlin“. Dies passe zur Entwicklung der vergangenen zwei Jahre unter Schwarz-Rot, schrieb er auf X: „Geflüchteten wird das Leben so schwer wie möglich gemacht, (…) und die Arbeit von Initiativen für Geflüchtete wird stiefmütterlich behandelt“.

Auch die flüchtlingspolitische Sprecherhin der L inksfraktion, Elif Eralp, sieht den Senat in der Verantwortung, „der viel zu spät reagiert und über die BIM erst jetzt Angebote an Moabit hilft gemacht hat“, obwohl sie und andere schon im Sommer letzten Jahres den Senat auf die Situation hinwiesen und um Lösungen für den wichtigen Verein gebeten hätten. „Es ist dramatisch, dass Moabit hilft nun seine Räume verlassen muss und die wichtige Arbeit für Geflüchtete stark geschwächt wird.“

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