Flüchtlingsunterkunft: Die gespaltene Gemeinde
Der Brandanschlag von Escheburg ist aufgeklärt. Doch Ruhe ist im Ort noch nicht eingekehrt. Mehr als 200 Menschen kamen zur Einwohnerversammlung.
HAMBURG taz | Die Anspannung in der Gemeinde Escheburg war am Montagabend zu spüren. Bürgermeister Rainer Bork von der Escheburger Wählergemeinschaft hatte im Namen aller Fraktionen des Gemeinderats zu einer Einwohnerversammlung in das Gemeindezentrum geladen. Mehr als 200 Einwohner der kleinen Gemeinde folgten der Einladung. Genau vor zwei Wochen wurde hier ein Brandsatz in die geplante Flüchtlingsunterkunft geworfen, in die am folgenden Tag sechs Männer aus dem Irak einziehen sollten.
Schon weit vor Versammlungsbeginn unter dem Motto „Auch in Escheburg sind Flüchtlinge willkommen“ war der Saal in dem roten einstöckigen Klinkerbau voll. Die Stühle reichten nicht, etliche Menschen lehnten an Wänden und Fensterbänken, viele standen im Flur. Die Anwohner, meist gut gekleidet, wollten mit den anwesenden Vertretern von Gemeinde, Amt und Kreis über die Unterbringung von Flüchtlingen diskutieren. Die Verantwortlichen informierten über den allgemeinen Ablauf zur Ankunft von Geflüchteten. Bork stellte klar, dass in dem Haus auch in Zukunft Flüchtlinge untergebracht werden.
Um Verständnis für die Situation wegen des großen Zulaufs von Asylbewerbern bat Karsten Fries von der Kreisverwaltung, die sich um die Verteilung der Flüchtlinge kümmert. Die Vertreter wurden erst verstanden als sie ein Megaphon der Feuerwehr nutzen. „Wenn man alle einlädt, hätte man das bedenken müssen“, murrte eine Frau. Nicht die einzige Kritik an diesem Abend in der schleswig-holsteinischen Gemeinde mit etwa 3.300 Einwohnern, keine 30 Autominuten von Hamburg entfernt.
Der Täter ist geständig. Es ist ein 38-jähriger Hamburger Finanzbeamter, der mit seiner Familie in dem Teil der Gemeinde am Golfplatz lebt, in dem die sechs Geflüchteten unterkommen sollten. Am Montagmittag, dem 9. Februar, warf er einen Kanister mit brennbarer Flüssigkeit in das Haus. Der Boden fing Feuer. „Das Haus muss vollkommen renoviert werden“, sagte Brigitte Mirow, Verwaltungschefin des Amts Hohe Elbgeest.
Vor dem Anschlag stürmten Anwohner das Büro des Bürgermeisters Rainer Bork und beschimpften ihn. Mit dabei war der spätere Täter. Im Büro der Verwaltungschefin des Amts Hohe Elbgeest, Brigitte Mirow, beschwerten sich Anwohner ebenso.
Am 10. Februar sollten in ein Doppelhaus "Am Golfplatz" sechs Geflüchtete aus dem Irak einziehen.
Einen Tag zuvor wurde im Erdgeschoss eine Fensterscheibe eingeworfen. Die Polizei kam und blieb bis 12.30 Uhr.
Am selben Tag warf der mittlerweile geständige Steuerbeamte und Familienvater um 13.15 Uhr einen Kanister mit brennbarer Flüssigkeit in das Haus.
Die Feuerwehr konnte den Brand schnell eindämmen. Das Haus muss dennoch vollständig renoviert werden.
Am 19. Februar nahm die Polizei den Täter fest. DNA-Spuren waren gefunden worden. Noch am Abend gestand er die Tat.
Am 20. Februar wurde der Täter dem Haftrichter vorgeführt, wiederholte ausführlich das Geständnis. Unter Auflagen kommt er aus der Untersuchungshaft frei. AS
„Sehr traurig, auch für die Familien, was jetzt auf die zukommt“, sagte eine Rentnerin vor Beginn der Versammlung, „bitte verstehen Sie das nicht falsch, die Tat ist natürlich fürchterlich, ich denke sehr an die Asylbewerber und eben auch an die Familie des Mannes.“
Vor Beginn entlud sich die Spannung gegen die Presse. Laut beschwerte sich im Saal ein Einwohner, gefilmt zu werden. Bürgermeister Bork bat die anwesenden Journalisten, während der Diskussion nicht zu filmen. Die Einwohner sollten frei sprechen können. Vereinbart wurde auch, keinen, der sprechen würde, ungefragt namentlich zu zitieren. Ein Vorgehen, das wirkte: viele Anwohner sprachen von ihren Sorgen und Ängsten, ebenso viele erklärten aber auch, für die Flüchtlinge da seien zu wollen, um zu helfen. Alle bekamen viel Applaus.
Ein Anwohner sagte, er habe nichts gegen Asylsuchende, aber er habe Angst, dass alleinstehende Männer dort einziehen würden. Er sorge sich um seine Töchter. Ein ehemaliger Richter, der bei einer Unterstützergruppe für Geflüchtete in einer benachbarten Gemeinde mitwirkt, fasste nach: „Sagen Sie doch, was Sie denken, dass die Männer Sexualstraftaten verüben würden.“ Keine Daten würden diese Sorgen rechtfertigen. „Diese Kombination, Flüchtling ist gleich Straftäter, ist absurd.“ Alle Menschen, Deutschen und Nichtdeutsche, würden Straftaten begehen, sagt er und betonte: „Wir haben ja gerade erlebt, dass der Täter hier Ihr Nachbar war.“
Die Verantwortlichen auf der Bühne mussten sich wegen der „Informationspolitik“ viele Vorhaltungen anhören. Zu spät und zu wenig fühlten sich die Anwohner informiert. Vorsichtig und mehrere Male legten Bork und Mirow den zeitlichen Ablauf des Erwerbes des Hauses für Asylbewerber dar. Mirow schilderte, dass sie im Amt sehr kurzfristig Informationen bekämen: wann wer kommt, eine Unterkunft braucht.
Einzelne Anwohner beschwerten sich, dass sie nicht vom Bürgermeister direkt informiert wurden. Einer sagte, Bork hätte gar gesagt: „Seien Sie froh, dass keine Kosovo-Albaner kommen.“ Kopfschütteln bei vielen Einwohnern. Bork ging nicht auf den Vorwurf ein. Ein Gemeindevertreter warf dem Bürgermeister mehrfach vor, dass ihnen beim Kauf des Hauses ein „Maulkorb“ erteilt wurde. Wegen der schlechten Informationspolitik sei die Situation eskaliert. Erneut sprang Mirow ein, erklärte, dass bei der gemeinten Gemeindesitzung der Kauf noch nicht ganz abgewickelt gewesen wäre.
Am Ende nach zwei Stunden Diskussion sagte Mirow, dass aber auch gesagt werden sollte, dass bei ihr 15 Anwohner ins Büro gestürmt seien und gesagt hätten, dass sie, wenn sie es früher gewusst hätten, schon „was“ gegen die Unterkunft hätten machen können. Amtsvorsteherin Martina Falkenberg betonte, die Ängste zu verstehen, räumte ein: „Wir haben möglicherweise alle an einzelnen Stellen vielleicht nicht alles richtig gemacht.“
Im April sollen Container für weitere Geflüchtete aufgestellt werden.
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