Flüchtlingsunterbringung in Berlin: Kinderbetten verboten
Seit einem Monat wohnen Flüchtlinge in der ersten Modularen Unterkunft in Marzahn. Es gibt mehr Privatsphäre, aber Konflikte mit Betreiber und Security.
Kadiche Suleman vermisst die Pankstraße. Wenn es nach ihr ginge, wäre sie gern im Weddinger Norden mit seinen internationalen Lebensmittelläden und belebten Straßen wohnen geblieben. „Wir haben uns in dem Kiez wohl gefühlt“, sagt die junge Frau aus Afghanistan, die dort mit ihrer Familie bis Ende Februar in einer Notunterkunft gelebt hat.
In der neuen Unterkunft im Norden Marzahns hingegen hat sie das Gelände der Gemeinschaftsunterkunft seit vier Wochen nicht verlassen. „Hier habe ich Angst rauszugehen. Das erste Mal, als ich einkaufen war, hat ein Mann mich beschimpft, er hat etwas wie ‚Go home‘ gerufen“, erzählt sie. Jemand anderes hätte abwehrende Handbewegungen in ihre Richtung gemacht, sie fühlte sich sehr unsicher. Seitdem geht nur noch ihr Mann einkaufen.
Fünf Betten für sieben Personen
Mit ihren fünf Kindern im Alter zwischen sieben Jahren und wenigen Monaten leben die Sulemans in einer der Familienwohnungen im Erdgeschoss der neu gebauten Unterkunft in modularer Bauweise, kurz MUF. Ihre Wohnung hat zwei kleine Schlafzimmer, Flur, Küche und Esszimmer sind in einem Raum davor untergebracht, auch ein eigenes Badezimmer gehört dazu.
Rund 450 Menschen leben in der Unterkunft im Norden von Marzahn, die Ende Januar als erste der insgesamt 60 geplanten Modularen Unterkünfte für Flüchtlinge (MUF) fertiggestellt wurde. Die meisten sind aus Turnhallen und Notunterkünften in Steglitz-Zehlendorf und Mitte dorthin gezogen, da es in diesen Bezirken bisher noch keine neuen Gemeinschaftsunterkünfte gibt.
Ab Mitte April wird die Unterkunft von der Hero Norge AS betrieben werden. Die norwegische Firma hatte den Auftrag im Zuge der europaweiten Ausschreibungen erhalten und ist das erste international agierende Unternehmen, das ein Berliner Flüchtlingsheim übernimmt. Berlinweit leben noch rund 12.000 Flüchtlinge in Notunterkünften. Sie sollen nach und nach in Tempohomes oder Modulare Unterkünfte umziehen, einige der Notunterkünfte sollen in Gemeinschaftsunterkünfte umgewandelt werden, die im Gegensatz zu den Notunterkünften eigene Kochmöglichkeiten bieten. (usch)
Da es vor den bodentiefen Fenstern keine Vorhänge gab, hat Suleman Laken in die Fensterrahmen geklemmt. Im ersten Schlafzimmer übernachten die Eltern mit den beiden jüngsten Kindern in zwei Betten, die Kinder schlafen quer am Fußende. Im Kinderzimmer stehen drei Betten für die vier älteren nebeneinander, viel mehr Platz ist in dem rund 16 Quadratmeter großen Raum nicht. „Es gibt hier keine Kinderbetten, dadurch ist es sehr eng“, sagt Suleman.
Einer ihrer Nachbarn, ebenfalls eine siebenköpfige Familie, hatte ein Kinderbett für seine jüngste Tochter gekauft. „Doch die Leitung erlaubt nicht, dass wir eigene Möbel aufstellen, er musste es wieder zurückbringen“, sagt sie.
Die rund 46 Quadratmeter großen Wohnungen sind eigentlich für vier bis fünf BewohnerInnen vorgesehen. Die Sulemans suchen schon länger nach einer eigenen Wohnung. „Wir hatten sogar schon etwas gefunden, doch dafür haben wir aber keine Genehmigung bekommen – mit der Begründung, dass vier Zimmer für uns zu klein seien“, sagt sie. Mit sieben Familienmitgliedern steht ihnen offiziell eine 5-Zimmer-Wohnung zu, „aber die sind noch schwerer zu finden.“ Bis dahin müssen sie sich in den zwei Zimmern arrangieren.
Die beiden Söhne spielen im Flur vor der Wohnung. Im Innenhof, zwischen den beiden fünfstöckigen Wohngebäuden und dem flacheren Zugangsbau, soll einmal ein Spielplatz entstehen, doch noch ist dort eine Baustelle. Den BewohnerInnen bleibt ein etwa zwei Meter breiter Streifen zwischen Hauswänden und Bauzaun. Auch hier spielen die Kinder oft.
Kadiche Suleman setzt sich mit dem Baby auf dem Arm zu ihrem Mann auf die Treppe vor dem Eingang. „Unsere älteste Tochter geht jetzt in die Schule direkt neben der Unterkunft. Doch die drei mittleren Kinder waren seit dem Umzug nicht mehr in der Kita“, erzählt er. „Die Kita ist am Alexanderplatz, es ist zu weit, ich schaffe es nicht, sie dort hinzubringen und abzuholen, denn ich habe von 13 bis 17 Uhr selbst meinen Sprachkurs.“
Ob es eine Kita in der Nähe gibt, konnte ihnen bisher niemand sagen. „Alles ist neu hier, das Gebäude ist gut“, sagt er. „Aber für Familien ist wenig Platz. Und warum gibt es keine Gemeinschaftsräume, wo wir uns treffen oder fernsehen können?“
Gemeinschaftsräume vermisst auch der 25-jährige Hamed Mirzaei. Er wohnt in einer der oberen Etagen, wo sich jeweils zwei BewohnerInnen ein 16 Quadratmeter großes Zimmer teilen. Der Raum neben der Gemeinschaftsküche ist komplett leer. „Wir wissen nicht, ob dies ein Essensraum werden soll“, sagt er. Mirzaei beklagt, dass die einfachsten Dinge fehlen.
„Wir haben keine Besen und kein Putzzeug bekommen, es gibt nirgendwo Mülleimer, dadurch verdreckt alles schnell“, sagt er. Tatsächlich ist in den Toiletten, die sich die 16 BewohnerInnen einer Etage teilen, der Boden nass, es gibt kein Toilettenpapier geschweige denn Halterungen für Rollen, nirgendwo sind Handtuchhaken oder Regale, um etwas abzulegen. An der Stange vor der Dusche baumeln zwar Ringe, aber Duschvorhänge gibt es nicht. „Als wir eingezogen sind, gab es auch nicht genug Geschirr und Bettwäsche, manche schlafen direkt auf der Matratze“, sagt Mirzaei.
„Hier ist Guantánamo“
Doch mehr als die mangelnde Einrichtung machen ihm und anderen Bewohnern Konflikte mit Heimleitung und Sicherheitspersonal zu schaffen. „Wir haben uns auf ein eigenes Zimmer gefreut. Aber hier haben wir keine richtige Freiheit“, sagt Mirzaei. Bei der Ankunft hätte die Leitung ihnen alle elektronischen Geräte abgenommen, sie hätten nicht wählen dürfen, mit wem sie das Zimmer teilen.
Außerdem kämen die Mitarbeiter ohne zu klopfen in die Zimmer und kontrollierten ständig die Taschen. „Wenn wir uns beschweren, sagen sie: Das hier ist Guantánamo, und wenn du nicht zufrieden bist, kannst du auf die Straße gehen“, erzählt er. Einige hätten kurz nach dem Einzug Hausverbot bekommen und mussten auf der Straße schlafen.
„Wenn es so viele Regeln gibt, sollten wir die auch schriftlich bekommen. So haben wir das Gefühl, dass sie ständig neue Regeln erfinden.“
Die Volkssolidarität teilte auf Nachfrage der taz mit, dass sie keine Kenntnis von entsprechenden Äußerungen seitens der Mitarbeiter oder des Wachpersonals habe und zutiefst bedauere, wenn es zu solchen verbalen Entgleisungen gekommen sei. Grundsätzlich hätten die BewohnerInnen die Möglichkeit, Anliegen, Beschwerden und Kritik gegenüber der Heimleitung und dem Sozialteam zu äußern. Der Wachschutz werde vom LAF gestellt.
Für das zuständige Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) war das Ziel, die Menschen aus den prekären Situationen in den Turnhallen herauszuholen. Die „noch anstehenden Arbeiten“ würden „sukzessive erledigt“ heißt es dort. „Das LAF hält immer wieder die Standards bei Personal und Ausstattung nicht ein“, kommentiert Dorothea Schütze von der Ehrenamtlicheninitiative „Wedding hilft“, die einige Bewohner beim Umzug begleitet hat. „Wenn es dann losgeht, muss alles schnell schnell gehen – ohne Rücksicht auf grundlegende Bedürfnisse der Geflüchteten.“ Es gäbe bisher keine Sprachmittler und keine Kinderbetreuung in der Unterkunft. Sie bedauert auch, dass es vor Ort keine Freiwilligeninitiative gibt, um die Menschen weiter zu begleiten.
Hamed Mirzaei sagt, er könne sich mit der Gegend anfreunden, wenn nur der Druck von Leitung und Security nachließe. „Wir haben keinen großen Wunsch, wir wollen normal und ruhig leben wie alle anderen.“
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