Flüchtlingspolitik in Niedersachsen: Verfassungsrechtler rügt Schünemann
Der Bundesverfassungsrichter a. D. Mahrenholz fordert in einer Petition eine menschlichere Ausländerpolitik. Im Parlament scheitert die Opposition mit ähnlichen Initiativen.
HANNOVER taz |Landtagsdebatten zur Flüchtlingspolitik von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) folgen festen Ritualen: SPD, Grüne und Linksfraktion dringen auf Liberalisierung, die CDU-/FDP-Regierungsfraktionen lassen entsprechende Vorstöße auflaufen.
So auch an diesem Donnerstag: An der Regierungsmehrheit scheiterte ein Linken-Antrag für eine Bleiberechtsregelung, die die Aufenthaltsdauer Betroffener berücksichtigt und gewährleistet, dass Familien nicht durch Abschiebung getrennt werden. Auch SPD und Grüne konnten sich mit ihrer Forderung nach einem Abschiebestopp für Minderheiten wie Sinti und Roma ins Kosovo während der Wintermonate nicht durchsetzen.
Für mehr Humanität in Niedersachsens Ausländerpolitik setzt sich auch der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Gottfried Mahrenholz, ein. Mit einer Landtagspetition will er den Kurs Niedersachsens ändern. An Schlagabtausche im Parlament glaubt Mahrenholz, der in den 1970ern für die SPD im Landtag und teils als Kultusminister im Kabinett saß, nicht mehr. Im Regierungslager, sagt er, sei derzeit "niemand bereit, aus der ehernen Front der Ablehnung jeglicher Liberalisierung auszuscheren".
Auslöser, aktiv zu werden, waren für ihn Fälle wie der der Familie Nguyen aus Hoya: Vergangenen November hatte Schünemann die Familie nach fast 20 Jahren in Deutschland nach Vietnam abschieben lassen. Nach massiver Kritik von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und aus CDU-Reihen schwenkte Schünemann um und setzte sich für die Rückkehr der Nguyens ein.
Trotz Nein zum Kosovo-Abschiebestopp will sich der Landtagsinnenausschuss bei einer Reise einen eigenen Eindruck der Lebensbedingungen im Kosovo machen.
Erst am Mittwoch tauchte eine verwitwete Roma-Mutter mit ihren drei Kindern in die Illegalität ab, die aus Göttingen ins Kosovo abgeschoben werden sollte.
Schon im Januar versteckte sich eine sechsköpfige Roma-Familie kurz vor ihrer Abschiebung.
"Absurd" findet Mahrenholz den Fall. Mit einer menschlicheren Abschiebepraxis hätte es die Odyssee der Nguyens nie gegeben, sagt er. "Bei solchen Entscheidungen müssen die einzelnen Betroffenen und ihre Familien in den Mittelpunkt gerückt werden, denn um deren Menschenwürde geht es." Auch Schünemanns steten Verweis, er und seine Ausländerbehörden handelten, wie es der Gesetzgeber im Bund vorschreibe, lässt Mahrenholz nicht gelten: "Schünemanns Ermessensspielraum bleibt vom Bundesrecht unangetastet", sagt er.
Konkret fordert Mahrenholz in seiner Petition eine Reform der Verordnung zur Arbeit der Härtefallkommission. Das Gremium kann Ausländern aus humanitären Gründen ein Bleiberecht geben, wenn der Rechtsweg ausgeschöpft ist. Sein 17-Seiten-Papier hat Mahrenholz in dieser Woche beim Landtag eingereicht. Nun wird sich der zuständige Innenausschuss mit der Petition befassen und Schünemanns Ministerium um Stellungnahme bitten. Dort arbeitet man derzeit mit den Regierungsfraktionen an einer neuen Härtefallverordnung. Für März plane man, einen Entwurf zur Verbandsanhörung vorzulegen, erklärt ein Sprecher Schünemanns. Was der enthalten solle, will er nicht sagen.
Verfassungsrechtler Mahrenholz hat dazu konkrete Vorstellungen: Neben Ministerium, Kommunen und Wohlfahrtsverbänden sollen auch Flüchtlingsinitiativen in der Kommission vertreten sein. Über die einzelnen Härtefallersuchen soll nicht wie bislang mit einer Zweidrittel-, sondern mit einfacher Mehrheit entschieden werden. Zudem fordert er, die Zulassung zur Kommission zu erleichtern.
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