Flüchtlingspolitik der EU: Die Hungernden von Athen
Flüchtlinge in Griechenland haben bis Dienstag mit einem Hungerstreik protestiert – gegen die Verzögerung des Familiennachzugs.
Samira Asman und ihre acht- und zehnjährigen Töchter blinzeln aus ihrem Zelt heraus. „Aufgeben? Das ist keine Option“, sagt die Frau aus Syrien. Sie ist eine der insgesamt 14 syrischen Flüchtlinge, die seit zwei Wochen mit einem Hungerstreik gegen die Verzögerung der EU-Politik in Sachen Familienzusammenführung protestieren.
„Ich habe die Bestätigung für eine Familienzusammenführung erhalten“, sagt Asman und schlägt kopfschüttelnd die Hände zusammen. Trotzdem habe sie immer noch keinen Termin, nach Deutschland zu ihrem Mann und ihrem 12-jährigen Sohn nachzureisen. Seit zweieinhalb Jahren hat sie die beiden nicht mehr gesehen. „Mein Mann ist sehr krank“, erklärt die 50-Jährige leise. Deshalb sollte er zuerst nach Europa gehen. Für alle Familienmitglieder habe das Geld für die Schleuser nicht gereicht.
Vor über sechs Monaten hat Asman ihre Bestätigung zur Familienzusammenführung nach der Dublin-Verordnung der EU erhalten. Die Verordnung sieht vor, dass enge Familienangehörige einen Rechtsanspruch haben, innerhalb der EU zusammengeführt zu werden.
Dazu muss das aktuelle Aufenthaltsland, in diesem Fall Griechenland, einen Übernahmeantrag an das Land stellen, in dem sich die Angehörigen befinden – in Asmans Fall ist das Deutschland. Die Bewilligung der Übernahme des Familiennachzugs ist der Verordnung nach verpflichtend. Auch muss die Zusammenführung innerhalb von sechs Monaten erfolgt sein.
Diese gesetzliche Frist ist bei den meisten längst verstrichen. Über 4.000 Menschen haben eine Bewilligung erhalten und warten, dass ihnen ein Flug zugeteilt wird.
Gegenseitige Schuldzuweisung
Vorwürfe wurden laut, das Bundesinnenministerium würde die Zusammenführung absichtlich verlangsamen oder gar deckeln. Hintergrund ist ein im Mai erstelltes Schreiben des griechischen Migrationsministers Ioannis Mouzalas an Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Darin steht, dass die „Familienzusammenführungen nach Deutschland wie vereinbart verlangsamt“ werden und dass mehr als 2.000 Flüchtlinge davon betroffen seien. Einige von ihnen „werden Jahre warten müssen, bis sie nach Deutschland reisen könnten“. Das Schreiben hatte die griechische linke Zeitung Efimerida ton Syntakton (Efsyn) veröffentlicht.
Nun schieben sich Griechenland und Deutschland gegenseitig die Schuld zu: Das Bundesinnenministerium begründet den schleppenden Familiennachzug mit organisatorischen Schwierigkeiten. Der griechische Migrationsminister ließ verlauten, die Bundesregierung würde eine Anfrage für zwei Charterflüge für den Transfer von Flüchtlingen nach Deutschland nicht beantworten.
„Die Abschreckungspolitik der EU wird auf dem Rücken dieser Familien hier ausgetragen“, sagt Salinia Stroux. Die 39-Jährige arbeitet für die griechische Nichtregierungsorganisation Refugee Support Aegean (R.S.A.) und steht den Streikenden auf dem Syntagmaplatz solidarisch zur Seite. „Wir fordern, dass das internationale Recht eingehalten wird und die Familienzusammenführungen schnellstmöglich stattfinden“, so Stroux.
Am Montag gingen einige der Streikenden zur deutschen Botschaft in Athen und baten um ein Gespräch. Der Botschafter blockiert nach Aussage der Streikenden jegliche Diskussion. Ihnen wurde gesagt, man gebe ihre Nachricht an die Bundesregierung weiter und warte die Antwort ab. Dasselbe wurde den Menschen dort bereits vor vier Monaten gesagt.
Ibrahim Asaleh, Syrer
Die Hungerstreikenden vom Syntagmaplatz wirken sehr müde. Die Traumata von Krieg und Flucht sitzen tief. Die Trennung von ihren Liebsten tut ihr Übriges. Auch Ibrahim Asaleh hat die Bestätigung längst in den Händen und möchte so schnell es geht zu seiner Frau und seinen beiden kleinen Kindern, die seit über einem Jahr in Deutschland leben. „Wo sind die von der EU so hochgehaltenen Menschenrechte abgeblieben?“, fragt der Syrer. „Lasst uns nach diesen suchen!“
Die SyrerInnen auf dem Syntagmaplatz haben den Hungerstreik am Dienstag für beendet erklärt. Unsere Reporterin hatte die Flüchtlinge am Montag auf dem Syntagmaplatz besucht. Mehrere Menschen hätten ihre gesundheitliche Grenze erreicht, bestätigten Ärzte, die den Streik betreuten. Ein Weiterführen des Hungerstreiks würde vor allem zu Lasten der Kinder, die mit ihren streikenden Familienmitgliedern in den Zelten hausten, gehen. Der Kampf sei aber nicht vorbei, hieß es, sondern werde auf anderer Basis weitergeführt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen