Flüchtlingshilfe in Süditalien: Engagierter Bürgermeister verhaftet
Domenico Lucano ist für seine Politik bekannt und mit Preisen geehrt worden. Nun wird ihm „Begünstigung der illegalen Einwanderung“ vorgeworfen.
Denn Domenico Lucano, den in Riace alle nur Mimmo nennen, ist nicht irgendwer. Er regiert seit 2004 einen Ort mit bloß 1600 Einwohnern, der völlig aus der Welt liegt – doch die Zeitschrift Fortune führte ihn im Jahr 2016 unter den 50 einflussreichsten Leadern der Welt auf, und Wim Wenders kam extra nach Kalabrien, um einen Kurzfilm zu drehen. Einen Kurzfilm über die Politik der Flüchtlingsaufnahme, die Lucano in Riace organisiert, ja der er sein Leben verschrieben hat.
Eigentlich war der heute 60-Jährige ein ganz gewöhnlicher Chemielehrer, als er 1998 am Strand vor Riace ein Schiff sah – ein Schiff mit gut 200 Kurden an Bord. Für ihn war klar: Diesen Menschen gebührt Hilfe. Zusammen mit Freunden kümmerte er sich um ihre Aufnahme, gründete dann einen Verein, um für Unterkünfte zu sorgen, und trägt seitdem den Spitznamen „der Kurde“.
Lucano hatte und hat vor allem ein Argument auf seiner Seite: Aus Riace ziehen die Menschen weg, das Dorf droht auszusterben, warum also nicht Migranten ansiedeln? Das Argument überzeugte seine Mitbürger, die den Lehrer 2004 zum Bürgermeister wählten und seitdem immer im Amt bestätigten.
Das berühmte „Modell Riace“
So konnte Lucano das schaffen, was mittlerweile nicht bloß in Italien als „Modell Riace“ berühmt geworden ist. Leerstehende, verfallende Häuser wurden für die Migranten wieder hergerichtet, und Menschen aus Riace taten sich mit Migranten zusammen, um neue Tätigkeitsfelder zu erschließen. So entstanden eine Töpferei, eine Weberei, eine Glasmalerei – und auch die Müllabfuhr ging neue Wege. Zwei Migranten und zwei alteingesessene Bürger aus Riace ziehen jeden Tag mit Eseln durch die engen Gassen, um auf denkbar ökologische Weise den Müll einzusammeln, natürlich sauber getrennt.
Zudem beherbergt Riace mittlerweile etwa 300 bis 400 Flüchtlinge, die anschließend weiter wollen. 70 Arbeitsplätze für Sozialarbeiter, Betreuer, Sprachlehrer entstanden so, ins sterbende Dorf kehrte Leben zurück.
Doch Engagement für die Flüchtlinge hieß für Mimmo Lucano auch immer Kampf mit den Behörden, mit der Präfektur, mit dem Innenministerium. Verwendete er die Mittel korrekt? Prüfung um Prüfung durch die Präfektur musste Lucano über sich ergehen lassen, zum Beispiel weil er lokales Geld druckte, mit dem die Migranten in den örtlichen Läden bezahlen konnten, solange das Innenministerium – das regelmäßig verspätet zahlte – nicht die notwendigen Mittel bereitgestellt hatte.
Immer ging Lucano sauber aus diesen Prüfungen hervor. Doch jetzt ist er plötzlich der „Begünstigung der illegalen Einwanderung“ beschuldigt, weshalb ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt wurde. Lucano soll in einem abgehörten Gespräch als Lösung für eine abgelehnte Asylbewerberin aus Nigeria vorgeschlagen haben, sie könne ja einen Italiener heiraten. Außerdem soll die Vergabe der Müllabfuhr an die Kooperative mit den Eseln unkorrekt über die Bühne gegangen sein.
Italiens fremdenfeindlicher Innenminister Matteo Salvini nahm die Nachricht vom Haftbefehl voller Freude auf. „Was sagen jetzt wohl die Gutmenschen?“, twitterte er. Die Antwort kam umgehend. Für Samstag rufen Lucanos Freunde zu einer großen Solidaritätsdemo in Riace auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles