Flüchtlingsgegner in Berlin: Kein Heimspiel in Marzahn
Rechtsextreme Gruppen rufen zu Protesten gegen Flüchtlinge auf. Es kommen hauptsächlich Neonazis – und deutlich mehr GegendemonstrantInnen.
BERLIN taz | Ein Desaster für die Neonazis, Flüchtlingsgegner und „besorgten Anwohner“, ein voller Erfolg für alle, die an diesem Samstag in Berlin-Marzahn gegen die Rechten auf die Straße gegangen sind - das ist die Bilanz dieses Tages.
Die zum Schluss auf etwa 200 Menschen zusammengeschrumpfte Demonstration der Rechten musste erst lange warten und dann schließlich nach kurzer Strecke wieder umdrehen. Ihre geplante Route sowie mögliche Ausweichstrecken waren von etwa 3.000 GegendemonstrantInnen blockiert. Zu den Gegenprotesten aufgerufen hatte ein Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, und verschiedenen linken Gruppen, darunter auch Antifa-Zusammenhänge aus Marzahn-Hellersdorf und die Initiative „Hellersdorf hilft“.
„Berlin wird sich den dumpfen Hassparolen und der plumpen Stimmungsmache des rechtsextremen Mobs friedlich, aber beherzt entgegenstellen“, hatte sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit bereits am Freitag zuversichtlich gezeigt.
Schon mittags um 12 Uhr ist klar: Es sind viele, die heute in Marzahn gegen die Rechten auf die Straße wollen. Der S-Bahnhof Ostkreuz ist dicht, etwa 1.000 Menschen haben sich hier versammelt. „Ich hätte nie gedacht, dass so viele kommen, schließlich ist Marzahn nicht gerade Innenstadt“, sagt eine Teilnehmerin.
Blockade von Beginn an
Gemeinsam geht es mit der S-Bahn nach Marzahn, von dort schlägt sich der Zug durch die Plattenbauten-Siedlungen in Richtung der geplanten Neonazi-Route. Das Tempo ist sportlich, immer wieder geht es kreuz und quer durch Grünanlagen und Wohnsiedlungen, um den Polizei-Absperrungen zu entgehen. Für die Polizei ist es ein Großeinsatz: Etwa 1.700 Beamten sind heute vor Ort.
Kurz bevor den Antifas die Puste ausgeht, ist ein erster Erfolg geschafft: Der Zug ist an der Kreuzung Landsberger Allee/Blumberger Damm angekommen. Die liegt mitten auf der geplanten Route der Rechten, gleich um die Ecke befindet sich der Standort der künftigen Container-Flüchtlingsunterkunft, die den Neonazis seit Wochen als Anlass für ihre Hetze im Bezirk dient.
Schnell ist die Kreuzung besetzt, die Blockade geht hier über in eine von der Linkspartei angemeldete Kundgebung. Immer mehr GegendemonstrantInnen kommen an, die Stimmung ist gut. Auch an anderen Orten entstehen jetzt Blockaden, bis nicht nur die geplante, sondern auch mögliche Ausweichrouten der Rechten erst mal blockiert sind.
Ab 14 Uhr sammeln sich die FlüchtlingsgegnerInnen an ihrem Auftaktort in der Nähe des S-Bahnhofs Raoul-Wallenberg-Straße, etwa 800 sind es zu Beginn. Organisierte Neonazis sind darunter, etwa der NPD-Landesvorsitzende Sebastian Schmidtke. Es wehen Deutschlandfahnen, auf NPD-Fahnen wollen die Veranstalter bewusst verzichten. „Wir sind Anwohner und keine Nazis“, steht auf selbstgemalten Schildern.
Tee von AnwohnerInnen
Für die Rechten heißt es erst mal warten, denn die vor ihnen liegende Strecke ist mittlerweile in alle Richtungen blockiert. Auch bei den Blockaden bleibt es zunächst ruhig, eine Weile lang sieht es so aus, als würde es am Ende darum gehen, welche Gruppe den längeren Atem hat - und es in der Kälte besser aushält. Die NazigegnerInnen scheinen hier einen Vorteil zu haben: Von ihrem Balkon aus verteilen AnwohnerInnen heißen Tee. Mit ihrer Behauptung, den ganzen Bezirk hinter sich zu haben, liegen die Neonazis offensichtlich falsch.
Um 17 Uhr wird es dann chaotisch: Die Rechten laufen doch noch los, auf die nur 200 Meter entfernte Blockade zu. Die war bisher durch Polizeifahrzeuge und Gitter abgesperrt - jetzt gelingt es den GegendemonstrantInnen plötzlich, auf die Kreuzung zu kommen. Die Polizei scheint überfordert, es fliegen Böller und einige Flaschen. Dann drehen die Rechten um, zurück in Richtung S-Bahnhof. Die GegendemonstrantInnen laufen jetzt direkt daneben auf der anderen Fahrbahn, nur die Tram-Schienen und die Polizei trennen die beiden Gruppen.
„Wir sind das Volk“, skandieren die Rechten, „Bleiberecht überall“ tönt es deutlich lauter von der anderen Seite. Die Stimmung ist aggressiv, die Polizei setzt immer wieder Pfefferspray gegen die antifaschistischen DemonstrantInnen ein und versucht, deren Zug auf den
Um kurz nach sechs ist dann alles vorbei: Die Rechten sind wieder abgefahren. Auch die GegendemonstrantInnen machen sich auf den Weg, für viele von ihnen geht es jetzt noch weiter zur traditionellen Silvio-Meier-Demo in Friedrichshain.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja