Flüchtlingscamp in Berlin-Kreuzberg: Krieg den Hütten
„Wir haben sie gebaut, wir reißen die Hütten auch wieder ab“, sagt ein Flüchtling. Doch nicht alle geben das Camp freiwillig auf – nun wurde es geräumt.
BERLIN taz | Um 6.55 Uhr am Dienstagmorgen kommt die SMS: „Alarm! Der Oranienplatz wird geräumt.“ Seit Monaten fürchteten viele in Berlin, Innensenator Frank Henkel (CDU) werde seine Drohung wahr machen und das Protestcamp der Flüchtlinge in Kreuzberg schließen. Jetzt scheint es so weit zu sein. Doch die Lage an diesem Morgen ist kompliziert: Nur ein paar Zivilpolizisten sind vor Ort – es sind Flüchtlinge, die die Zelte und Hütten des Camps abreißen, das in den 18 Monaten seines Bestehens zum Symbol für die Flüchtlingsproteste schlechthin geworden ist.
Mit Hämmern, Brechstangen und bloßen Händen reißen sie Bretter von den Wänden, ziehen Planen von den Dächern und werfen Möbel heraus. Bagger greifen die Trümmer und fahren sie zu zwei riesigen Schuttcontainern. Die Stimmung ist aufgeheizt. Längst nicht alle Flüchtlinge sind damit einverstanden, den Platz aufzugeben.
„Hört auf“, brüllt ein Mann eine Gruppe an, die sich gerade eine Holzhütte vornimmt.
„Bete für ein besseres Leben, statt darum hierzubleiben“, entgegnet ihm ein anderer.
Der Marsch: Im Sommer 2012 hatten Asylsuchende in mehreren süd- und westdeutschen Städten kleine Protestcamps aufgebaut. Sie forderten ein Recht auf Leben in Wohnungen statt Lagern, Schutz vor Abschiebung, ein Ende von Residenzpflicht und Essenspaketen. Im September marschierten sie von Würzburg nach Berlin und besetzten den Oranienplatz in Kreuzberg. Später kam eine Gruppe von Flüchtlingen aus dem Libyenkrieg hinzu. Sie hatten bereits in Italien Asyl erhalten. Dort waren sie aber obdachlos, bekamen keine Sozialleistungen und fanden keine Arbeit.
Der Deal: Seit Januar hatten die Flüchtlinge mit dem Berliner Senat über eine Räumung des Platzes verhandelt. Der Senat bot an, Unterkünfte für sie zu finden und ihre Anträge auf Aufenthalt einzeln zu prüfen, wenn sie den Oranienplatz freiwillig räumten. Vor allem die über Italien eingereiste Gruppe sah darin für sich eine Chance und sagte zu. Viele der Flüchtlinge mit deutschen Asylverfahren fürchteten jedoch, zurück in ihre Lager geschickt zu werden. Sie lehnten ab. Der Senat sprach dennoch von einer Einigung.
Der Umzug: In den letzten Tagen zogen einige der Flüchtlinge in ein ehemaliges Hostel im Stadtteil Friedrichshain. (cja)
„Ich lande auf der Straße und das wisst ihr.“
„Alles was wir wissen, ist: Das Spiel hier ist vorbei, Bruder.“
Im Oktober 2012 hatten Flüchtlinge aus ganz Deutschland den Platz besetzt. Sie forderten ein Ende der Residenzpflicht, der Abschiebungen, gleiche Sozialleistungen und ein Recht auf Wohnung. Kurzum: Sie protestierten gegen das deutsche Asylsystem. Und hatten dabei durchaus Erfolg. Doch in zwei Wintern haben sie sich in quälenden Streits zermürbt. Die Welle der Solidarität ebbte ab, konservative Medien verlangten immer lauter die Räumung des Platzes. Doch der Senat zögerte, die Polizei zu schicken – noch immer gab es in der Stadt zu viel Sympathie für das Anliegen der Flüchtlinge.
Die Lampedusas
Sieben Wochen hat Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat mit den Flüchtlingen über die Räumung verhandelt. Doch ihr Angebot – Unterkunft plus eine „wohlwollende Prüfung“ der Anträge auf Asyl oder Aufenthaltsrecht – war für Teile der Campbewohner unannehmbar. Eine Ausnahme bildete eine Fraktion, die in Italien bereits Asyl erhalten hat: die sogenannten Lampedusas – benannt nach dem Ort, wo sie in Europa landeten. Sie dürfen sich eine Zeit lang legal in Deutschland aufhalten, fordern aber vor allem eine Arbeitserlaubnis. Der Senat setzte diese unterschiedlichen Interessen der Flüchtlinge gezielt ein.
Wortführer der Lampedusas ist Bashir, ein massiger Mann aus Nigeria. Er hat die Verabredung mit dem Senat unterzeichnet – gegen den Willen der Mehrheit der Verhandlungsdelegation. Heute ist er der Wortführer des Abreißtrupps. „Wir haben die Hütten gebaut, wir reißen sie auch wieder ab“, bekräftigt er. Ein Umstehender nickt. „Ich war Elektroingenieur in Niger, ich kann für mich sorgen“, sagt er. „Wir haben keinen Bock mehr, auf diesem Platz zu leben und zu hoffen, dass die Leute uns Kleingeld zuwerfen.“
Von der einstigen Geschlossenheit der Bewohner ist nur noch wenig übrig. Die Gruppe um Bashir knöpft sich die nächste Hütte vor. Einzelne versuchen den Abriss aufzuhalten. „Lasst uns arbeiten“, brüllt einer der Afrikaner und schubst die Blockierer weg. Später wird die Polizei einschreiten, weil sich einzelne Bewohner in den letzten Hütten verschanzen.
Der ganze Frust der letzten zwei Jahre bricht jetzt durch. Wild hämmern die Flüchtlinge auf die Hütten ein, als seien die schuld an verpassten Chancen, verlorener Zeit.
„Die sind ja wie im Rausch“, sagt eine deutsche Unterstützerin. Immer mehr Menschen kommen, alarmiert von der SMS-Kette. Sie sehen zu, wie der Müllberg langsam wächst, einige haben Tränen in den Augen. „Wir können nichts machen, oder?“, fragt eine junge Frau in die Runde. „Nein“, sagt ein Zuschauer. „Scheiße.“ Andere versuchen noch schnell, Dinge zurückzubekommen, die sie den Flüchtlingen geliehen hatten.
„Die wurden gekauft“
Vor seiner Hütte steht Prince, 24, beige Lederjacke, weißer Kragen. Er stammt aus Ghana. Seine Hütte hat er letztes Jahr gebaut, sie ist eine der schönsten und stabilsten auf dem Platz gewesen. „200 Euro habe ich ausgegeben“, sagt er. Elektrokabel von Bauhaus, Dachpappe, Isolierstoff. Warum er nicht auf das Angebot des Senats eingehen will und in eine der Notunterkünfte zieht? „Wenn wir erst da sind, gibt es keinen Protest mehr“, sagt er. „Dann interessiert sich niemand für uns. Ich bin Schweißer, aber jetzt ist mein Leben, hier zu stehen und zu warten. Ich will arbeiten, hier bleiben dürfen. Und dafür müssen wir kämpfen.“
„Unsinn“, kommentiert Bashir. „Die Proteste gehen weiter. Wir sind nicht der Platz, wir sind die Verbindung zwischen uns. Wenn der Senat uns nicht gibt, was er versprochen hat, werden wir aus den Heimen heraus genauso demonstrieren wie hier.“
Prince glaubt das nicht. Der Senat habe sich die Gruppe um Bashir mit Zugeständnissen gekauft. „Die Polizei hätte das nicht so einfach räumen können“, sagt er. „Die Leute hätten sich mehr gewehrt.“ Er selbst will seine Hütte verteidigen, „aber wenn der Bagger kommt, gehe ich weg, das ist ja lebensgefährlich.“
Der Bagger rückt näher, schon schiebt er die Holzhütte zusammen, die der von Prince am nächsten steht. Ein Bauarbeiter mit orangefarbener Weste macht dem Fahrer Zeichen. Der Bezirk hat sie beauftragt. „Wir dachten, es gibt bestimmt Probleme, aber es ist ja alles ganz friedlich“, sagt er. „Eigentlich sollten die Flüchtlinge ja selber abbauen, aber wir helfen mit, dann geht es schneller.“ In zwei, drei Stunden sei alles erledigt, schätzt er.
Die Hütte, die der Bagger zusammenschiebt, ist vor dem Abbau nicht geöffnet, geschweige denn geleert worden. Was passiert mit den Sachen? „Das wird alles in die Unterkunft gebracht.“ Der Bagger greift in den Haufen und fährt Richtung Müllcontainer, an der Schaufel hängen Schlafsäcke, Isomatten, Kleidung. Und das? „Das war auch vorher schon Müll.“
So ein „Drecksplatz“
Am Rande des Platzes steht der Kreuzberger CDU-Abgeordnete Kurt Wansner. Im letzten Jahr hatte er Unterschriften für die Räumung des „Drecksplatzes“ gesammelt und war dafür von der linken Szene bedroht worden. Jetzt gibt er dem ZDF ein Interview. „Das ist das Beste, was denen passieren konnte“, sagt er. „Sie kriegen jetzt endlich richtige Betten. Wer will denn so wohnen?“ Aber wenn doch nicht alle gehen wollen? „Das ist doch immer so. Das ist bei uns in der Partei auch so, da muss sich die Minderheit der Mehrheit beugen.“
Jan kann darüber nur lachen. Er ist ein Unterstützer der Campbewohner. „Der Senat lässt die Flüchtlinge die Drecksarbeit machen. Die ganzen Verhandlungen liefen auf diese Spaltung hinaus“, sagt er. Für viele der Flüchtlinge sei aber nach wie vor „völlig offen“, was mit ihnen geschehen soll.
Später steht Prince, der Schweißer aus Ghana, neben einem Haufen, der vor Kurzem noch sein Haus war. Darunter sind Möbel und Kleidung zu sehen. Will er nichts retten, bevor der Bagger kommt? „Den Schrott brauche ich jetzt auch nicht mehr“, sagt er bitter. „Was ich brauche, ist eine Idee, wie mein Leben jetzt weitergehen soll.“
Dieser Artikel wurde am 9. April um 10.07 Uhr geändert.
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