Flüchtlinge in Polen: Ein regelrechter Entsetzensschrei
Über 4.000 Flüchtlinge baten 2015 in Polen um Asyl. Dort stoßen sie auf wenig Empathie. Dabei waren viele Polen einst selbst auf der Flucht.
Rund 70 Prozent der Polen sind gegen jede Aufnahme von Flüchtlingen aus Afrika und dem Nahen Osten, wie ein Umfrage für die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita zeigte. Am Ende erklärte sich die Regierung zähneknirschend bereit, 2.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Die Kosten in Höhe von rund 70 Millionen Euro für Unterbringung, Verpflegung und Integration werde die EU tragen, erklärte Premier Kopacz.
Angesicht von Hunderttausenden Asylbewerbern in Nachbarstaaten wirken die 4.199, die im ersten Halbjahr 2015 Asyl in Polen beantragten, als hätten sie sich in der Adresse vertan. Tatsächlich stellen in Polen vornehmlich jene Pechvögel einen Asylantrag, die vom Grenzschutz aufgegriffen wurden. Dies waren in diesem Jahr vor allem Tschetschenen. Da sie zumeist die russische Staatsbürgerschaft haben, müssen sie damit rechnen, nach Moskau abgeschoben zu werden. Zudem stellten 1.345 Ukrainer sowie 208 Georgier einen Asylantrag.
Anerkannt wurden in den ersten sechs Monaten gerade mal 273 Flüchtlinge, die meisten von ihnen aus Syrien, Ägypten und dem Irak. Auch sie hält es meist nicht lange im Land. Die Integrationszeit ist mit einem halben Jahr viel zu kurz angesetzt und die Hilfe insgesamt zu gering. Fast alle ziehen weiter nach Westen.
Radoslaw Sikorski, bis vor Kurzem Außenminister Polens, hatte 1981, als General Jaruzelski das Kriegsrecht über Polen verhängte, Asyl in Großbritannien erhalten. Mit einem staatlichen Stipendium studierte er in Oxford, wurde Journalist und machte im ab 1989 wieder freien Polen politische Karriere. Doch als jetzt diskutiert wurde, wie viele Flüchtlinge das Land aufnehmen könnte, schwieg er.
Nur Roza Thun, die heute für Polen im Europäischen Parlament sitzt, plädierte öffentlich für die Aufnahme von Flüchtlingen. 1981 hatte sie Zuflucht in Deutschland gefunden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar