Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen: Erst Lager, dann Asylprozess
Die EU will Asylsuchende an den Außengrenzen in Zentren registrieren und dort für Tage festhalten. Die Idee geht auf Ex-Innenminister Seehofer zurück.
Die Lager sollen die derzeit existierenden „Hotspots“ ablösen. Dabei wird ein juristischer Trick angewandt, die so genannte Fiktion der Nichteinreise. Damit soll verhindert werden, dass die Ankommenden sich auf das nationale Asylrecht des Einreiselandes berufen können. Stattdessen sollen sie einer Art exterritorialem Vorprüfungsverfahren unterworfen werden. Dabei wird entschieden, ob der Zugang zu einem regulären europäischen Asylverfahren überhaupt gewährt wird.
Die neuen Screening-Zentren sind Teil des im September 2020 von der Kommission vorgelegten EU-Migrationspakts. Sie gehen zurück auf eine Idee der deutschen Ratspräsidentschaft in jenem Jahr – und entstammen somit dem Haus des damaligen deutschen Innenministers Horst Seehofer (CSU).
„Das Screening umfasst Identifizierungs- und Sicherheitskontrollen, aber auch Gesundheitskontrollen und Prüfungen der Schutzbedürftigkeit“, heißt es in der Mitteilung des EU-Rates vom Donnerstag. Es soll „in der Regel in der Nähe der Außengrenzen“ vorgenommen werden und dürfe „höchstens fünf Tage“ dauern. In dieser Zeit müssten die Personen den nationalen Behörden „zur Verfügung stehen“ – eine dezente Umschreibung für die in der Regel geplante Internierung. Alle Betroffenen würden nach dem Screening den für Asyl oder für Umsiedlung oder Rückkehr zuständigen Behörden zugeführt, so der Rat.
Kritik an „De-facto-Haftlagern“
Wer aus einem Land stammt, aus dem weniger als ein Fünftel der Asylanträge im EU-Schnitt Erfolg hat, kommt dabei in das sogenannte Grenzverfahren: ein beschleunigtes Prozedere in geschlossenen Lagern, an dessen Ende binnen 12 Wochen die Anerkennung oder – wahrscheinlicher – die Abschiebung steht. Dieses Prozedere betrifft die Mehrzahl der Herkunftsländer.
Pro Asyl kritisierte den Beschluss scharf und sprach von einer „verpflichtenden Einführung von De-facto-Haftlagern an Europas Grenzen“. Die Ampel habe im Koalitionsvertrag versprochen, das Leid an den Außengrenzen zu beenden. Stattdessen trage sie Veränderungen auf EU-Ebene mit, die „in beispielloser Geschwindigkeit unter strikter Geheimhaltung“ umgesetzt würden. „Haft darf nicht zum Standard an Europas Grenzen werden“, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günther Burkhardt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour