piwik no script img

Flüchtlinge Senat plant überraschende Nutzungsänderung für das Berliner SchlossBarockes Domizil

96.000 Quadratmeter Raum für Nutzungsänderung Foto: Fischer / dpa

Aus Berlin Frank Lüdecke

Die Situation der Flüchtlinge in Berlin hat sich dramatisch zugespitzt. Derzeit prüft der Berliner Senat händeringend weitere Optionen, um ihre Unterbringung sicherzustellen. Eine Zeltstadt in Spandau ist bereits errichtet, auch sind zwei Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof im Gespräch, sowie das Abschiebegefängnis in Grünau. Auch über das derzeit leerstehende ICC wurde als Erstaufnahmestelle diskutiert, was allerdings aufgrund der Asbestverseuchung des Gebäudes als unrealistisch erscheint.

Gestern Nachmittag nun hat sich im Berliner Abgeordnetenhaus eine fraktionsübergreifende Initiative gebildet, die plötzlich ein anderes Gebäude in den Focus stellt: den Neubau des Berliner Schlosses. Bei vielen Vertretern der Regierungskoalition, aber auch bei Teilen der Grünen, der Linken und der Piraten soll der überraschende Vorstoß offenbar große Sympathien hervorgerufen haben.

Die Gründe liegen auf der Hand: Das Schloss befindet sich derzeit noch im Rohbau und könnte mit seinen 96.000 Quadratmetern Fläche den Unterbringungsnotstand für Flüchtlinge in Berlin möglicherweise schlagartig lösen. Während sich der Regierende Bürgermeister Michael Müller zu den spektakulären Plänen noch nicht äußern wollte, erklärte dagegen Innensenator Frank Henkel (CDU), dass die Lage „zum Handeln zwänge“, aber das Stadtschloss als Lösungsweg empfände er persönlich als „etwas gewöhnungsbedürftig“. Wilhelm von Boddien, Geschäftsführer des Vereins für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses, zeigte sich indes auf Anfrage völlig überrascht: „Mit uns hat niemand gesprochen. Bis Stand gestern wird das Berliner Schloss Kunst beherbergen und keine Flüchtlinge. Dafür ist der Bau auch gar nicht konzipiert.“

Das könnte sich ändern. Bei entsprechender Umgestaltung des Rohbaus könnten hier modernste Unterbringungsmöglichkeiten entstehen, und das hinter durchaus ansprechender barocker Fassade. Darüber hinaus ist die Finanzierung durch den Bund bereits weitestgehend gesichert.

Auch die zentrale Lage spräche für das Vorhaben. So ist das Stadtschloss fußläufig vom Hauptbahnhof erreichbar. Sogar eine Anreise mit dem Schiff ist denkbar. Und die Nutzungsänderung muss den ursprünglichen Zielen der Schlossbefürworter gar nicht widersprechen. So heißt es auf der Website des Fördervereins Berliner Schloss e. V.:

„Berlin stellt sein Zentrum dem Dialog der Völker der Welt zur Verfügung, im Zeitalter der Globalisierung eine große Geste, mit der sich Deutschland als Teil der Völkergemeinschaft und derer Kulturen versteht und einbringt.“

Auch die zentrale Lage spräche für das Vorhaben: Sogar eine Anreise mit dem Schiff ist denkbar

Eben. Vor allem aber würde Berlin mit der Nutzungsänderung ein deutliches politisches Zeichen an den Rest Europas senden. Die Flüchtlinge wären im wahrsten Sinne des Wortes in der Mitte Berlins angekommen. Gleichzeitig ergäbe sich auch eine kleine historische Pointe: Während das Hohenzollernschloss einst als Residenz des Kaisers fungierte, würde es nun in der Berliner Republik auch anderen sozialen Schichten als Wohnort dienen.

Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) resümierte: „Neben dem Alten Museum, dem Dom und dem Zeughaus nähme das Flüchtlingsschloss eine zentrale Rolle in Berlins historischer Mitte ein und würde damit die verantwortungsbewusste Position Deutschlands in der Flüchtlingsfrage eindrucksvoll untermauern.“

Dass ein anderes Berliner Großprojekt am östlichen Stadtrand bis zu der Fertigstellung des Flüchtlingsschlosses als Zwischenlösung dienen könnte, ist bislang nur ein Gerücht und von keiner Seite bestätigt worden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen