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Flucht aus MyanmarEin Ort im Zwischenwo

Seit dem Militärputsch im Februar 2021 sind Zehntausende Menschen aus Myanmar geflohen. Viele landen zunächst im thailändischen Grenzort Mae Sot.

Protest von Exi­lan­t:in­nen im Juli in Mae Sot gegen die Hinrichtung von Dissidenten in Myanmar Foto: reuters

Mae Sot taz | Der weiße Kilometermarker steht unbeachtet an Mae Sots belebter Prasatwithi-Straße. Daneben ragt ein Strommast samt Kabelsalat gen Himmel, ein paar Meter weiter wirbt der Papa Cutz Barbershop für Hipsterfrisuren. Nach Myawaddy auf der myanmarischen Seite der Grenze sind es nur acht Kilometer, bis zur Metropole Yangon 567.

Doch dorthin will seit dem 1. Februar 2021, als das Militär mit einem Coup die gerade wiedergewählte Zivilregierung absetzte, kaum jemand. Vielmehr vergeht seitdem kein Tag, an dem es nicht zu blutigen Zusammenstößen zwischen Widerstandsgruppen und dem Militär kommt. Der Kampf ist brutal. Ganze Dörfer werden vom Militär in Schutt und Asche gelegt. Menschen werden verschleppt, sogar Kinder, Frauen und Alte massakriert.

Rund 1,3 Millionen Menschen sind laut UN-Flüchtlingswerk allein innerhalb von Myanmar auf der Flucht. Und diese ist lebensgefährlich und teuer – vor allem, wenn sie ins einigermaßen sichere Nachbarland führt. Bis zu 30.000 Thai Baht, rund 850 Euro, pro Kopf, kann der Menschenschmuggel nach Thailand kosten.

„Viermal bekam ich Malaria-Anfälle“, erzählt Min Min* beim Tee, „Hunger war unser ständiger Begleiter“. Der hagere Mittzwanziger war mit seiner Frau und anderen Familienangehörigen Mitte vorigen Jahres aus seiner Heimatstadt im Osten Myan­mars geflohen. Jetzt sitzen sie in einem leeren Mietshaus am Stadtrand von Mae Sot. Bis 2020 war ihre Welt noch in Ordnung. Die Familie betrieb ein Hotel und einen Zweiradverleih. Er führte Touristen durch die idyllische Bergwelt. Dann kam Corona, und Myanmar schloss die Grenzen.

Proteste nach dem Putsch

Min Min half einer Lokalpolitikerin der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) beim Wahlkampf. „Nach dem Putsch ging ich nach Yangon und war bei den Massenprotesten an vorderster Front dabei, um sie zu dokumentieren.“ Bis diese brutal niedergeschlagen wurden. „Einige der Pressebilder stammen von mir“, erklärt er und zeigt sie mit Stolz auf seinem Smartphone. Auf einem Foto ist er mit seiner Kamera zu sehen. Die gibt es nicht mehr, verkauft.

Sein Haus und Hotel wurden vom Militär konfisziert. Jetzt stehen Min Min und seine Familie vor dem Nichts. „Wir wollen erst wieder zurück, wenn Demokratie herrscht“, sagen sie. In ihren Gesichtern zeigt sich eine Mischung aus Wut und Verzweiflung. Denn bis zur Demokratie ist es in Myanmar derzeit ein weiter und vor allem sehr blutiger Weg.

Zumindest gegen den Hunger im Dschungel wollen sie etwas tun. Mit Plastikschürze und Kopfschutz stehen sie in der Küche, hacken Rindfleisch klein und legen es in eine Trockenmaschine, während die Kinder über den Steinboden krabbeln. Am Schluss werden die Stücke eingeschweißt und vakuumverpackt.

Immer wieder kommt jemand mit dem Moped vorbei und nimmt einige Päckchen mit. Später landen diese in einem der vielen Guerilla-Camps jenseits des Moei-Flusses. Der ist 327 Kilometer lang und bildet über weite Strecken die Grenze zwischen Thailand und Myanmar.

Wer aufmuckt, fliegt raus

Das Gebiet um den Fluss ist schwer zu kontrollieren: Westlich der Grenze hat weit­gehend die Karen National Union (KNU) das Sagen, östlich davon Thailands Militär, das einerseits ständig Flüchtlinge aus Myanmar zurückschickt, aber gegen Bestechung auch mal ein Auge zudrückt.

„Wir leben zum Teil von unseren Ersparnissen. Einige von uns arbeiten auch in Restaurants, die von Birmesen geführt werden“, erklärt Min Min. Für ihre Arbeit bekommen sie am Tag zusammen 150 Thai Baht, umgerechnet 4 Euro. Gerade wurde der Mindestlohn von der Regierung auf 337 Baht festgelegt, mehr als das Doppelte. Doch der gilt hier nur selten.

Der Grenzdistrikt Mae Sot hat sich mit seinen rund 150.000 Ein­woh­ne­rn in den letzten Jahrzehnten zu einem attraktiven Industriestandort gemausert. Seit 2015 gehört er zur Sonderwirtschaftszone der Provinz Tak. Der Asian Highway Nummer 1 geht durch Mae Sot, zwei „Freundschaftsbrücken“ über den Moei führen nach Myanmar. Und dank eines modernen Flughafens ist man in einer Flugstunde in Bangkok.

Über eine Viertelmillion Arbeitskräfte stehen in der Region zur Verfügung, heißt es in einer Werbebroschüre der Tak-Provinz. Was sie verschweigt: Die meisten stammen aus Myan­mar und arbeiten zu schlechten Bedingungen. Viele kleinere Textilfabriken haben sich angesiedelt und nutzen die laxen staatlichen Kontrollen aus. Unbezahlte Überstunden und geringe Bezahlung sind eher die Regel als die Ausnahme. Wer aufmuckt, fliegt raus.

Ein Euro am Tag

Die Arbeitgeber wissen um die Not der Migranten. Nur selten kommt es zu Razzien. Größtenteils erst dann, wenn Medien über Missstände berichten. Wie beispielsweise 2019, als Reporter aufdeckten, dass die Kanlayanee Company – eine Fabrik mit 50 Beschäftigten, die unter anderen Schürzen für Starbucks herstellt – den Angestellten umgerechnet nur einen Euro am Tag bezahlte.

Wer es aus Myanmar nach Thailand geschafft hat, ist dort überwiegend illegal. Von den geschätzt vier bis fünf Millionen Mi­gran­t:in­nen, die insgesamt im Königreich leben und arbeiten, haben laut Internationaler Arbeits­organisation (ILO) nur zwei Millio­nen gültige Papiere. Mehr als die Hälfte von ihnen stammen aus dem westlichen Nachbarland.

„Hohe Kosten, lange Wartezeiten und bürokratische Hürden halten viele davon ab, auf legalem Weg nach Thailand einzureisen und dort zu arbeiten“, erklärt die Internationale Organisation für Migration (IOM) zu den Gründen. Das gilt allemal für Flüchtlinge aus Myanmar, wo die Beantragung des Passes mit viel Schikane und hohen Schmiergeldzahlungen verbunden ist.

Wer wie Min Min und seine Familie fliehen musste, vermeidet sowieso jeglichen Behördenkontakt. Für sie bleibt nur der Weg, als Flüchtling anerkannt und irgendwann von einem Drittland aufgenommen zu werden. Doch das ist ein langer, mühevoller Prozess.

Hochschwanger auf der Flucht über die Berge

Und eigentlich will auch niemand von ihnen so weit weg. „Ich hoffe, mit meinem Mann und dem Neugeborenen bald in die USA ausreisen zu können“, sagt Aye Lwin*, die vor der Militärjunta geflohen ist. Viele Jahre hatte sie für internationale Organisationen in Yangon gearbeitet und hielt es nach dem Putsch nicht mehr aus.

Eigentlich wollte sie in Thailand studieren und hatte schon Stipendium und Studentenvisum in der Tasche. Doch die legale Ausreise sei wegen ihres politischen Widerstands nicht mehr möglich gewesen, sagt sie. Wenige Monate nach der Machtübernahme floh sie hochschwanger über die Berge aus Myanmars Kayin-Staat nach Thailand. Glücklicherweise konnte sie ihr Baby in einem Krankenhaus in Mae Sot zur Welt bringen.

Von der IOM unterstützt, wohnt sie nun mit anderen Flüchtlingen aus Myanmar in einem einfachen Hotel. Und wartet. Sollte sie es in die USA schaffen, wolle sie schnellstmöglich wieder nach Thailand, betont Aye Lwin. Dann erzählt sie von ihren Plänen, ein Geschäft zu eröffnen, um Handarbeiten von Flüchtlingen und Menschen aus der Grenzregion zu verkaufen.

Phyu Hein* ist da schon weiter. Ihr Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung liegt zwar noch bei den Behörden, doch sie betreibt jetzt bereits seit Monaten in Mae Sot zusammen mit einem thailändischen Geschäftspartner ein Café. Die Kaffeebohnen stammen aus den Bergen Myanmars, wo sie die Jahre zuvor mit ihrem Mann erfolgreich eine Kaffeemarke etabliert hatte.

Das Menüangebot ist auf Birmanisch geschrieben, auch der Rest der hochwertigen Produkte stammt weitgehend von drüben. Bald nach Eröffnung ist der Laden zum angesagten Exi­lan­t:in­nen­treff geworden. Es ist ein Ort im Zwischenwo: Physisch sind hier zwar alle in Mae Sot – aber in Gedanken und Gefühlen stets in Myanmar.

* Name geändert

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