„Der Druck von der Straße muss steigen“

Es droht eine Welle von Eigenbedarfskündigungen, sagt Florian Schmidt, grüner Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg. Wohnungen müssten ins Gemeinwohl überführt werden, etwa durch Enteignung. Für ein Gesetz sieht er derzeit keine parlamentarische Mehrheit

„Viele Mie­te­r*in­nen wissen gar nicht, dass bei ihnen längst die Fristen laufen zur Eigenbedarfskündigung“: Baustadtrat Florian Schmidt bei einem Protest gegen die Deutsche Wohnen AG Foto: Christian Ditsch

Interview Bert Schulz
und Erik Peter

taz: Herr Schmidt, Sie sind seit Ende 2016 Stadtrat für Stadtentwicklung in Friedrichshain-Kreuzberg; vorher waren Sie Sprecher von stadtpolitischen Initiativen. Bei Ihrem Amtsantritt wurde deshalb viel diskutiert, ob Sie Aktivist oder Politiker sind. Wie sehen Sie das heute?

Florian Schmidt: Entweder oder – das sehe ich nicht so. Wenn wir die Stadt verändern wollen, dann braucht es eine starke Zusammenarbeit von Politik und den Bewegungen, die an einer Transformation arbeiten. Da kann es nicht schaden, wenn Menschen, die aus dieser Bewegung kommen, in die Politik gehen.

Aber ein solches Amt verändert ja auch den Menschen, der es ausübt.

Ich habe als Amtsträger eine andere Rolle. Mein Hintergrund ist: Ich bin den Bewegungen verbunden. Das hat mich von Anfang an neugierig darauf gemacht, wie man in der Verwaltung neue Wege gehen kann. Ich habe also einen Horizont neuer Möglichkeiten mitgebracht. Einmal habe ich Hausgemeinschaften in die Räume des Bezirksamtes eingeladen. Daraus hat sich die Initiative 200 Häuser entwickelt, die sich mit dem Thema Aufteilung beschäftigt.

Müssen sich Mie­te­r*in­nen in Friedrichshain-Kreuzberg denn heute weniger Sorgen machen, wegen steigender Kosten verdrängt zu werden, als 2016?

Ja und nein.

Eine klassische Politikerantwort!

Wir haben substanziell Abhilfe geschaffen. Etwa durch das bezirkliche Vorkaufsrecht, Abwendungsvereinbarungen und die Beförderung von direkten Ankäufen durch landeseigene Wohnungsunternehmen oder Genossenschaften. Da liegen wir jetzt – auch dank des jüngsten Vonovia-Deals des Landes – bei etwa 6.000 Wohnungen im Bezirk. Das sind rund 4 Prozent des Bestands; wir haben die Menge von gemeinwohlorientierten Immobilien von 25 Prozent auf fast 30 Prozent gesteigert.

Was ist mit den Milieuschutzgebieten?

Durch den Milieuschutz haben wir rund 8.000 Wohnungen vor höheren Mieten geschützt, etwa indem Modernisierungsumlagen oder Luxussanierungen verhindert wurden, die eine höhere Miete gemäß Mietspiegel ermöglicht hätten.

Und warum sind Mie­te­r*in­nen nun weniger geschützt als 2016?

Die Regulierung des Wohnungsmarkts ist wichtig. Gleichzeitig müssen die Schlupflöcher geschlossen werden, mit denen das „Betongold“ abgeräumt werden kann. Das große Problem der nächsten Jahre werden Eigenbedarfskündigungen in den Altbauten sein. Das ist vielen Mie­te­r*in­nen gar nicht bewusst, aber da droht uns ein Tsunami. Der wird sehr stark auch die Mittelschichten betreffen.

Das müssen Sie erläutern.

In den vergangenen Jahren wurden wahnsinnig viele Häuser aufgeteilt, nach meinen Berechnungen betrifft das rund 35 Prozent der Wohnungen im Bezirk. Nur bezogen auf die Altbauquartiere in Friedrichshain-Kreuzberg ist es sogar jede zweite Wohnung.

Was genau heißt aufgeteilt?

Wer einzelne Wohnungen verkaufen will, muss ein Haus in mehrere Eigentumswohnungen aufteilen – die Bundesgesetzgebung ermöglicht dies unnötigerweise. Dann hat man als Eigentümer – sagen wir – 20 Wohnungen mit 20 Grundbucheinträgen. Die kann man dann verkaufen.

Welches Problem bahnt sich da an?

Die Mie­te­r*in­nen dort wissen zum Teil gar nicht, dass bei ihnen längst die Fristen laufen zur Eigenbedarfskündigung. Die Fristen sind ja auch sehr unterschiedlich: Mal fünf, mal sieben, mal 13 Jahre. Ich stelle zugleich einen gewissen Fatalismus fest. Manche Menschen sagen: „Irgendwann kommt hier eh die Eigenbedarfskündigung, und dann weiß ich auch nicht weiter.“ Zugleich zeigen Initiativen wie die 200 Häuser auf, dass viele Menschen sich nun zusammentun gegen diese Ungerechtigkeit. Und da müssen wir politisch ran. Es braucht einen Schutzschirm gegen Eigenbedarf, weil dort quasi das deutsche Mietrecht nicht mehr gilt. Der Eigentümer kann einfach kommen und sagen: „Jetzt soll mein Sohn, der zum Studieren in die Stadt kommt, in die Dreizimmerwohnung, und die Familie muss raus.“ Aber selbst der Wunsch nach einer Zweitwohnung, weil der Eigentümer dreimal im Jahr in Berlin ist, reicht aus für eine Eigenbedarfskündigung.

Wie könnte aus Ihrer Sicht ein solcher Schutzschirm aussehen?

Der Bund muss aktiv werden, vielleicht kann man Aufteilung und Eigenbedarfskündigungen ganz verbieten. Das sind ja keine Naturgesetze. Ein erstes Gutachten, das ich in Auftrag gegeben habe, zeigt, dass eine massive Beschränkung der Eigenbedarfskündigungen möglich ist. Klar ist aber auch selbst genutztes Eigentum begrüßenswert – Eigentum, das nicht spekulativen Zwecken dient oder durch Entmietung erst möglich wurde, als Teil einer gesunden Mischung von Eigentumsstrukturen.

Führen Sie nicht einen Kampf gegen Windmühlen?

Nein, der wäre ja per se verloren.

Sie machen eine starke Unterscheidung zwischen gemeinwohlorientierten Ak­teu­r*in­nen auf dem Wohnungsmarkt und privatwirtschaftlichen. Die grüne Spitzenkandidatin Bettina Jarasch möchte mit ihrem Mietenschutzschirm möglichst alle Vermieter einbinden. Wollen die das überhaupt?

Mit dem Enteignungs-Volksentscheid haben die Ber­li­ne­r*in­nen mit einer unglaublichen Kreativität brachial die Frage der Gemeinwirtschaft aufgebracht. Bettina Jarasch hat mit dem Schutzschirm sozusagen noch mal eine Vorstufe dafür vorgeschlagen. Und das ist erst mal positiv – wir wissen ja nicht, wie der Entscheid ausgeht. Ich bin aber der Überzeugung, dass es am Ende auf die Überführung ins Gemeinwohl ankommt. Wenn es wirklich zu einem Ja kommt am 26. September, haben wir danach einen spannenden Weg vor uns. Und dabei kann es nicht schaden, auf verschiedenen Ebenen zu agieren.

Aber unsere Frage war, ob es überhaupt Immobilienunternehmen gibt, die sich auf die Selbstverpflichtung einlassen würden.

Das kann man nicht vorhersagen; da kommt es wirklich auf die Ausarbeitung an. Der Schutzschirm, so wie ich ihn verstehe, wäre eine kurzfristige Abhilfe. Aber was langfristig passiert in den nächsten 20 bis 30 Jahren, ist die große Frage. Es hat sich ja auch in Wien gezeigt, wie langwierig es ist, ein eigenes Portfolio mit am Gemeinwohl orientierten Immobilienbesitz aufzubauen und zu stabilisieren.

Angenommen, die Mehrheit entscheidet sich für die Enteignung: Was wären die nächsten Schritte für den Bezirk?

In Friedrichshain-Kreuzberg als dem Zentrum der Bewegung wird man sich sehr genau anschauen, wo die zu vergesellschaftenden Immobilien liegen. Und dann müssen die Hausgemeinschaften noch einmal sehr viel Druck machen, dass es auch vorangeht in der Politik. Denn wir haben im Moment mit einer SPD, die dezidiert gegen Enteignung und Vergesellschaftung ist, keine parlamentarische Mehrheit für das Projekt. Das heißt, der Druck von der Straße muss noch erheblich gesteigert werden.

Es gab ja mehrere knifflige Situationen in Ihrer Amtszeit und sogar einen Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus wegen der Genossenschaft Diese eG. Welche Fehler haben Sie gemacht?

Wir hatten anfangs einen starken Rückenwind aus Politik, Zivilgesellschaft, auch aus den Medien, sogar bundesweit. Ich war in vielen Talkshows eingeladen als „Robin Hood der Mieter“. Nachdem wir 2018 der Deutschen Wohnen die Wohnungen in der Karl-Marx-Allee weggeschnappt hatten, gab es wirklich eine große Euphorie, aber auch eine Erwartungshaltung bei den Menschen. In jener Zeit haben wir auch die Grundlagen gelegt für unsere Politik, also zum Beispiel einen Beauftragten für gemeinwohlorientierte Immobilienwirtschaft installiert und die Arbeits- und Koordinierungsstruktur gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung (AKS), eine Schnittstelle zwischen Bezirksamt und Initiativen.

Was war die Folge?

Wir haben uns dann mehr getraut in einer Situation, in der es sehr schwierig war, das Vorkaufsrecht überhaupt noch auszuüben. Rückschauend kann ich sagen, dass ich nicht die Erfahrung hatte, wie man etwas optimal steuert in der Verwaltung, wenn es sehr kompliziert wird. Dennoch war unser Konzept sehr durchdacht, und der Untersuchungsausschuss hat ja auch festgestellt, dass es eben kein Himmelfahrtskommando war, da es kein Risiko gab für den Landeshaushalt. Natürlich habe ich gemeinsam mit Mie­te­r*in­nen einen neuen Weg beschritten, der auch juristisch nicht ohne war. Heute würde ich das anders angehen: Wir haben die Verfahren verbessert und sind jetzt besser gewappnet für die Herausforderungen, die kommen.

Hat Robin Hood seine Gegner unterschätzt?

Ich hätte nicht gedacht, dass wir derart Druck kriegen von einigen Parteien und der Immobilienwirtschaft. Man hat dort regelrecht die Chance gewittert und ja auch den Slogan ausgegeben den Robin Hood zu stürzen. Und dass eine Partei der rot-rot-grünen Koalition sich querstellt, war komplett überraschend. Die ganze Aufregung war im Großen und Ganzen jedoch nur ein Riesentheater von FDP, CDU und AFD, um die gemeinwohlorientierte Wohnungspolitik zu beschädigen. Zum Glück ist das nicht gelungen. Im Gegenteil: Die Menschen wissen jetzt, wo welche Parteien stehen.

Das ganze Interview auf taz.de/berlin. Florian Schmidts Buch „Wir holen uns die Stadt zurück“ erscheint am 18. Oktober bei Ullstein