: Fließende Grenze zur Sklaverei
■ Sowohl Traditionen als auch die modernen wirtschaftlichen Zusammenhänge in Afrika begünstigen die Kinderarbeit
Der grenzüberschreitende organisierte Kinderhandel in Westafrika ist nur möglich, weil die Akzeptanz, Kinder zur Arbeit heranzuziehen, bereits existiert. In vielen afrikanischen Gesellschaften gilt es als normaler Teil der Erziehung, Kinder in die Haus- und Feldarbeit einzubinden.
Kinder in reiche und gebildete Familie zu geben, zwecks Austausch von Arbeit gegen Erziehung, gilt als besonderes Privileg. Die Grenze zwischen Kinderarbeit und Sklaverei ist fließend.
Doch das Phänomen des großflächig organisierten Handels ist neu. Bei einer Konferenz zum Thema in Benin im Juli wurden sowohl die Traditionen wie auch die modernen Wirtschaftszusammenhänge als begünstigende Faktoren genannt. „In manchen Ländern hat die Abschaffung der Sklaverei nicht die Beziehungen zwischen ehemaligen Sklaven und ihren Herren gekappt“, heißt es in einer Unicef-Note zur Konferenz. „Die ersteren stellen bis heute ihre Kinder, besonders Mädchen, ihren ehemaligen Herren ohne jede Gegenleistung zur Verfügung.“
Ein weiterer Grund, die wachsende Zahl von Straßenkindern, für die es von Vorteil sei, sich zu verkaufen. Dazu komme, dass der Frauenanteil auf dem formellen Arbeitsmarkt zugenommen hat. Dies bewirke „eine Inanspruchnahme der Kinderarbeit, um die Hausarbeit sicherzustellen“.
Hinter den beiden Entwicklungen stehen zwei fundamentale Umwälzungen, die derzeit das soziale Gefüge in weiten Teilen Afrikas revolutionieren. Die eine ist die massive Verstädterung. 40 Prozent der Afrikaner leben bereits in Städten, und der Anteil steigt jedes Jahr um ein Prozent. Die Kehrseite davon ist eine schrumpfende Landwirtschaft, so daß Nahrungsmittel knapper und teurer werden.
„Schulden und wirtschaftlicher Niedergang haben Millionen unter die Armutsgrenze gedrängt“, analysiert die Menschenrechtsorganisation „Anti-Slavery International“ (ASI). Der Zwang zum Geldverdienen ist in Städten ohnehin viel stärker als auf dem Land, wo Familien ihre Nahrung selber anbauen können. Der Druck, alle Familienmitglieder zu „verwerten“, fördert die Kinderarbeit.
Die andere neue Entwicklung ist die rapide Ausbreitung von Aids. Der HIV-Virus rafft vor allem Männer im arbeitsfähigen Alter dahin. Frauen und Kinder müssen in der Erwerbsarbeit einspringen. Außerdem gibt es immer mehr Waisen in Afrika. Bei Pflegefamilien untergebracht, müssen sie häufig ihren Unterhalt selber verdienen oder werden als Handelsware missbraucht.
Manche der gängigen Methoden, um die Kinderarbeit einzudämmen, werden von der Unicef als sehr problematisch beurteilt. Kostenlose Beschulung für alle Kinder ohne eine entsprechende Stärkung des Bildungssystems bewirke eine Absenkung des Bildungsniveaus, was wiederum Eltern dazu verleite, die Schule als Zeitverschwendung anzusehen. Schulgebühren bedeuteten aber, dass in kinderreichen Familien die einen arbeiten müssten, um die Ausbildung der anderen zu finanzieren.
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