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Flashmob-Fahrradtouren in ChinaFür Maultaschen 60 Kilometer durch die Nacht

Vom chinesischen Zhengzhou aus radelten zehntausende Studis in die Nachbarstadt, um eine lokale Spezialität zu essen. Das soll nun unterbunden werden.

Wollen nur Maultaschen: Zehntausende Chi­ne­s:in­nen radeln nach Kaifeng, China Foto: JiaoXiaoxiang/imago

Berlin taz | In der zentralchinesischen Provinz Henan hat sich eine harmlose Radtour, die vier Studentinnen als Freizeitvergnügen begannen, zu einem erstaunlichen Massenphänomen Zehntausender junger Menschen entwickelt. Von den lokalen Behörden zunächst begrüßt, versetzt inzwischen diese bisher unkontrollierte Massenbewegung Regierungsstellen in Panik, weshalb sie jetzt verboten wurde.

Laut dem KP-Blatt Global Times hatten sich am 18. Juni vier Collegeschülerinnen von der Provinzhauptstadt Zhengzhou (4,4 Millionen Einwohner) per Rad in die rund 60 Kilometer entfernte alte Kaiserstadt Kaifeng (1,2 Millionen Einwohner) aufgemacht, um dort die berühmten lokalen großen Maultaschen (Guantangbao) zu essen.

Wie unter jungen Menschen üblich, posteten sie Fotos und Video ihrer Tour in sozialen Medien und forderten andere auf, sie doch auch mal zu machen. Bald entstand der Hashtag „Jugend hat keinen Preis, Nachtfahrt nach Kaifeng hat ihn“. Die Tour zog immer größere Kreise.

Zunächst Lob von offizieller Seite

Lokale Regierungsstellen lobten die Initiative zunächst als Förderung von Wirtschaft und Tourismus. Kaifeng öffnete Touristenorte für die nächtlich auf Leihrädern anreisenden jungen Menschen kostenlos oder versorgte diese sogar mit gratis Essen. Das KP-Sprachrohr Volkszeitung (Renmin Ribao) sprach euphorisch von „einem Symbol jugendlicher Energie und der Freude an einem geteilten Erlebnis“.

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Während Berichten zufolge ähnliche Gruppenradtouren auch in einigen anderen Orten entstanden sein sollen, wandelte sich der Spaß zwischen Zhengzhou und Kaifeng zum gigantischen Massenphänomen. Am letzten Wochenende sollen sich bis zu 130.000 junge Menschen, überwiegend auf bunten Leihrädern, auf den nächtlichen Weg gemacht haben.

Die parallel zum Gelben Fluss verlaufende mehrspurige Schnellstraße nahmen die Radler fast vollständig in Beschlag. Dort wie im Zentrum Kaifengs brach angesichts des Massenansturms Chaos aus. Die meisten Radelnden blieben ein bis zwei Nächte und fuhren dann mit dem Zug zurück. Zehntausende Räder blieben in Kaifeng zurück.

Touren sollen unterbunden werden

Die Laune der friedlich Radelnden wird trotz der Strapazen der Tour als euphorisch beschrieben, manche entzündeten ein Feuerwerk, schwangen die Nationalflagge und sangen dabei Chinas Hymne. Beobachter beschreiben die Massentour zwar als unpolitisch, doch trauen chinesische KP-Kader ihrer Jugend nicht, solange sie diese nicht wirksam kontrollieren können.

Für das Regime ist es per se subversiv, wenn sich junge Menschen einfach öffentliche Räume aneignen. Seitdem versuchen die Behörden die Massenbewegung zu unterbinden. Die Straße nach Kaifeng wurde für Räder gesperrt und die Hochschulen in Zheng­zhou aufgefordert, Studierenden das Verlassen des Campus zu verbieten. Die drei großen Leihradfirmen kündigten an, Räder so zu programmieren, dass damit nicht nach Kaifeng gefahren werden kann.

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6 Kommentare

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  • Wenn in D über 100.000 Radfahrer eine Schnellstraße blockieren, freut sich bestimmt Stadt und Land darüber. Niemand käme auf die Idee, die Polizei zu rufen.



    "Für das Regime ist es per se subversiv, wenn junge Leute sich einfach öffentliche Räume aneignen.“ Leider auch für einige Leute, die ich kenne. "Kuck Dir das doch bloß mal an! Was die da einfach so rumstehen. Blockieren den ganzen Gehweg." Dann erzeugen die Unzufriedenen ein passiv-aggressives High, indem sie zornig auf die Straße ausweichen,statt einfach durchzugehen. Optional und unlogisch: "Siehste, hier können Frauen sich nicht mehr auf die Straße trauen."

  • Wäre doch auch mal was für Deutschland - genauer gesagt für Schwaben. Dort reklamiert man ja die Maultaschen als eigene Erfindung.

    Vielleicht sollten mal 130.000 Radler sich von Stuttgart auf den Weg nach Süden machen. Etwa nach Hechingen. Das sind auch etwa 60 km und es existiert eine autobahnähnliche Straße. Aber halt - die ist ja für Radfahrradler gesperrt. Aber Maultaschen ließen sich dort sicher finden.

  • Und hier zeigt sich einmal mehr die tyrannische Seite der paternalistischen VRC.

  • Nehmen wir mal an, die Dresdner Studenten würden an einem bestimmten Tag alle Leihräder der Landeshauptstadt nach Meißen verbringen, um dort Fummeln zu essen und den Rückweg mit der S-Bahn anzutreten. Den Bäcker würde es vielleicht freuen, aber was sagen die restlichen Meißner dazu?

    • @dtx:

      Das wäre doch eine Aufgabe für unseren ehemaligen Finanzminister, der alles über den Markt regelt. Einfach die Gebühren für die rückzuführenden, weil so weit vom Leihort zurückgelassenen Leihräder entsprechend anpassen. An sich ist das Konzept ja knuffig. Studenten machen gemeinsam eine Radtour zu einem Touristenort und futtern sich da durch. Aber dieses Gehabe - Party vorbei, Müll und Räder wie Müll einfach liegenlassen und bequem mit der Bahn heim - schreit schon ein wenig nach Regulierung. Aber wie gesagt, einfach durch den Markt kann da schon helfen.



      Aber davon träume ich ja seit Jahren schon bei den im Weg rumliegenden E-Scootern.

    • @dtx:

      Meißen plus Umland sucht dann Dresden heim und Milchprodukte und Touristenzeugs bei Pfunds.

      Das ist zwar auch rechtsrheinisch, aber nur die halbe Strecke von der in der Volksrepublik.