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Fischsterben in der Oder282 illegale Einleitungen

Tonnenweise toter Fisch trieb im August in der Oder. Am Donnerstag wird der Expertenbericht zu den Ursachen veröffentlicht.

Ein toter Blei liegt liegt am 18. August im deutsch-polnischen Grenzfluss Oder Foto: Patrick Pleul/dpa

Criewen taz | Es sind an die hundert Kormorane, die sich auf einer Sandbank unterhalb des Stolper Bogens an der Oder drängen: Ihre schwarzen Flügel sind weit ausgebreitet und heben sich gut sichtbar auf dem hellen Strand ab. Kormorane sind sehr gute Taucher, sie haben – anders als andere Wasservögel – keine Luftkissen unter den Federn. Deshalb breiten sie ihre Flügel aus, um ihr Federkleid zu trocknen.

„Ein gutes Zeichen“, sagt Dirk Treichel, Leiter des Nationalparks Unteres Odertal im Nordosten Deutschlands. Kormorane ernähren sich überwiegend von Fisch und ihre Anwesenheit bedeute, „dass es hier noch Fische gibt“, frohlockt Treichel. Im August hatten apokalyptische Bilder Entsetzen hervorgerufen, auf der Oder trieben tonnenweise tote Fischkadaver, vom kleinen Steinbeißer über Döbel, Schlei, Zander oder Stör bis zum Zwei-Meter-Wels. Und weil es sehr heiß war in diesem Sommer, begann die tote Flussfracht schnell fürchterlich zu stinken.

„Es sind aber nicht nur die Fische, die wir verloren haben“, sagt der Nationalparkleiter. Erste Untersuchungen ergaben, dass die Muschelbänke schwer geschädigt wurden, „im günstigsten Fall mit bis zu 40 Prozent toter Tiere, im ungünstigsten über 80 Prozent“. Treichel nennt Muscheln und Schnecken „die Lunge des Flusses“, sie würden die organischen Schwebteile – vor allem Algen und Bakterien – filtern und so das Wasser reinigen.

Ihr Tod wird sich noch in Jahren bemerkbar machen, denn jetzt gelangt diese nährstoffreiche Fracht in die Ostsee und führt zu einer weiteren ­Eutrophierung. Das bedeutet: Das Algenwachstum wird stark ansteigen und dem Ostseewasser Sauerstoff entziehen, was dem schwer angeschlagenen Binnenmeer weiter zusetzen wird: In der Ostsee gibt es heute schon sauerstoffarme ­Totwassergebiete, dreimal so groß wie Mecklenburg-Vorpommern.

Staat für Sanktionen zuständig

Wer die Schuld an der Umweltkatastrophe trägt? „Es laufen Ermittlungsverfahren bei den zuständigen Strafverfolgungsbehörden in Polen und in Deutschland“, erklärt das Bundesumweltministerium. Falls man einen Verursacher feststelle, sei grundsätzlich der Staat, in dem der Verursacher sitzt, für Sanktionen verantwortlich. Heute nun soll der Bericht einer Expertenkommission vorgestellt werden, die die Ursache zu ermitteln versuchte.

Ein Bericht, der bereits im Vorfeld für Verstimmung sorgt. „Die polnische Regierung hat sich bei der Ursachensuche früh festgelegt“, sagt Michael Tautenhahn, bei der Nationalparkverwaltung mit der Aufarbeitung beschäftigt. Präsident Andrzej Duda erklärte Ende August: „Die Katastrophe in der Oder wurde nicht von Menschen verursacht.“ Also kann auch niemand zur Verantwortung gezogen werden.

Unstrittig ist, dass die Goldalge Prymnesium parvum Auslöser des Fischsterbens war. Diese eigentlich im salzigen Brackwasser beheimatete Art produziert ein Toxin, das die Kiemen wechselwarmer Tiere zerstört. „Zuerst dachten wir, wenn die ganzen Kormorane, Fischadler, Reiher, Fischotter oder Biber jetzt die Fischkadaver fressen, dann setzt sich das Tiersterben fort“, so Tautenhahn.

Tatsächlich nämlich wurden in den Untersuchungslaboren auch Quecksilber, Rückstände von Lösungsmitteln und andere toxische Chemikalien gefunden. Die warmblütigen Fischfresser blieben jedoch unversehrt, weshalb die Alge als Ursache am wahrscheinlichsten ist.

Umweltskandal im Wahlkampf

Fragt sich, wie diese im Süßwasser der Oder gedeihen konnte. „Polnische Parlamentarier haben jetzt 282 illegale Einleitungen in die Oder dokumentiert, darunter auch Salzlaugen aus dem Bergbau“, sagt Tautenhahn – und zwar so viel, dass die Brandenburger Messstellen im August plötzlich eine stark ansteigende Salzkonzentration anzeigten. Die polnische Wasserverwaltungsbehörde „Wody Polskie“ gibt an, 500 Verfahren zur Überprüfung der Einleitungen eingeleitet zu haben. Die Zahl der Fälle, die der Polizei übergeben wurden, liegt aber bei nur 20.

„In Polen gibt es noch mehr Angler als bei uns in Brandenburg“, sagt Michael Tautenhahn. Vermutlich deshalb ist der Expertenbericht auch so brisant. In Polen ist aktuell Wahlkampf, einige der in Verdacht geratenen Unternehmen seien Staatskonzerne, einen Umweltskandal kann sich die regierende PiS-Partei nicht erlauben. Deshalb scheint die Erzählung „von der natürlichen Alge“ für die PiS die günstigste.

„Natürlich kann sich die Oder erholen, aber das wird seine Zeit brauchen“, sagt Nationalpark­leiter Dirk Treichel. Normalerweise würden an der Sandbank unterhalb des Stolper Bogens die Fische nur so springen, aber jetzt liegt die Oder ruhig. „Und es darf nichts Schädliches mehr dazukommen“, ergänzt Michael Tautenhahn. Genau das aber passiere weiterhin: Trotz juristischer Auseinandersetzung gehen die Flussbauten zur Vertiefung der Oder weiter, derzeit etwa in Słubice gegenüber von Frankfurt (Oder).

Tautenhahn vermutet, dass dadurch Chemikalien wie Quecksilber mobilisiert werden: „Wenn sich der Fluss tiefer eingräbt, gibt er jene Sedimente frei, die sich dort zu sozialistischen Zeiten ablagerten.“ Aber der polnische PiS-Abgeordnete Joachim Brudziński kontert jegliche Flussbaukritik aus Deutschland: „Ihr habt schon alle Flüsse in West­europa reguliert. Polen ist kein Freilichtmuseum.“

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5 Kommentare

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  • Zum Langzeitgedächtnis der Flüsse zählen die Sedimente mit den Altlasten, das Erbe einer brutal Ressourcen vernichtenden Industrialisierung, ob sozialistisch oder kapitalistisch ist weniger bedeutsam, das aktive Wegsehen und Vertuschen, die Ignoranz und Überheblichkeit hat ein Pionier der DDR-Umweltbewegung, Ernst Paul Dörfler, schon in der DDR gespürt und zu spüren bekommen. Seine Erkenntnisse landeten im Archiv unter Verschluss und später wohl im Reißwolf.



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    www.nd-aktuell.de/...d-der-fluesse.html



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    Zitat Dörfler (zeitweilig Hauptaufgabe Gewässerschutz in der DDR) aus seinem Buch 'Aufs Land': "Die in den vorgelegten Studien gesammelten Erkenntnisse waren derart brisant, dass sie umgehend vom DDR- Umweltministerium als "Geheime Verschlusssache" eingestuft wurden und im Panzerschrank verschwanden. Mir untersagte man, diese Erkenntnisse zu verarbeiten." Als Dörfler später nach den Daten fahndete, waren sie verschwunden. Der Fluss vergisst nicht.

  • die sich dort zu sozialistischen Zeiten ablagerten- was bin ich froh, dass der Sozialismus schuld ist und nicht der Kapitalismus

  • Was mir bei der Sache einfach nicht in den Kopf will, auch habe ich zu diesem Aspekt bislang nichts der Presse entnehmen können: Wie führt Polen eigentlich sein Monitoring der Flußwasserqualität - insbesondere zur Salzfracht der Oder - durch? Wird da jeden Tag ein Männlein mit einem Probebehälter ans Ufer zur Probenentnahme geschickt?



    Bezüglich der Salzfrachten geht das doch über eine Leitwertmessung permanent und in Echzeit mit Online-Datenlogger (oder Schreiber) sehr einfach, d.h. 24/7.



    Hat man in ganz Polen entlang der Oder keine einzige solche Leitwertmessung?



    (Wahrscheinlich nur oberhalb der Bergbaubetriebe ;-) )



    Und das wichtigste als Konsequenz daraus:



    A) Es gibt solche 24/7 Leitwertmessungen:



    Aus deren Werten hätte man den deutschen Nachbarn sehr schnell informieren bzw. warnen können, dass eine größere Salzfracht unterwegs ist.



    B) Es gibt keine solchen 24/7 Leitwertmessungen:



    Dann ist es höchste Zeit, solche zu installieren und online zu veröffentlichen. Das kostet nicht die Welt, spart aber eine Menge Ärger.

  • "Aber der polnische PiS-Abgeordnete Joachim Brudziński kontert jegliche Flussbaukritik aus Deutschland: 'Ihr habt schon alle Flüsse in West­europa reguliert. Polen ist kein Freilichtmuseum.'“



    Wohlan denn! Alte Fehler sind dazu da, wiederholt zu werden!

  • Ich wette, GETAN wird nix!