Finnland nach dem Amoklauf: Fasziniert von Faschismus
Nach dem Schulmassaker in Finnland beginnt die Diskussion über die liberalen Sportschützen-Waffengesetze. Ein Lehrer des Amokläufers berichtet von dessen radikalem Weltbild.
STOCKHOLM taz Finnland ist geschockt und in Trauer. Die Fahnen im ganzen Land wehen auf halbmast. Gleichzeitig herrscht eine unaufgeregte Stimmung. Keiner versucht vorschnelle Schlüsse zu ziehen. Ministerpräsident Matti Vanhanen sprach von einer "furchtbaren und unfassbaren Tragödie", konstatierte aber gleichzeitig: "Die finnischen Schulen sind sicher. Doch so etwas wird man wohl nie verhindern können."
Vermutlich bald Thema dürfte die liberale Waffengesetzgebung für Mitglieder der Sportschützenvereine werden. Dank dieser besaß auch der 18-jährige Pekka-Eric Auvinen einen Waffenschein für eine kleinkalibrige halbautomatische Pistole. Mit dieser tötete er bei einem 20-minütigen Amoklauf fünf MitschülerInnen, die Direktorin, die Schulkrankenschwester, eine weitere Frau und schoss sich schließlich selbst in den Kopf. 10 Stunden später starb er im Krankenhaus.
Begonnen hatte die Tragödie am Mittwochmittag gegen 11.45 Uhr. Die rund 150 SchülerInnen der Gymnasiumsklassen der Schule in der 6.500-EinwohnerInnen-Gemeinde Jokela hatten Mittagspause, als der Abiturient mit seiner Pistole auftauchte. Nach den ersten Schüssen forderte die Direktorin durch die Lautsprecheranlage die LehrerInnen und 330 SchülerInnen der Mittelstufe, die in einem anderen Gebäudeflügel noch Unterricht hatten, auf, sich in ihren Klassenräumen einzuschließen. Eine Viertelstunde später war die Polizei vor Ort. Auf deren Aufforderung, sich zu stellen, schoss der Schüler erst auf die Beamten und richtete dann die Waffe gegen sich selbst.
Ob die Auswahl seiner Opfer bloßer Zufall war und er einfach auf jene schoss, die ihm in die Quere kamen, ist für die Polizei noch unklar. Zumindest in ein Klassenzimmer drang er mit gezogener Pistole ein, rief: "Es ist Zeit für die Revolution, schlagt alles kaputt!", schoss dann aber nicht auf die SchülerInnen, sondern auf ein Fernsehgerät im Raum und ging wieder.
Der Täter komme aus einer "ganz normalen" Mittelklassefamilie, berichten finnische Medien. Er hatte einen Bruder, der Vater sei ein bekannter Musiker. Er sei "wie jeder andere" gewesen, erzählen die einen Schulkameraden, andere schildern ihn als Einzelgänger, der ganz in seinem Sportschützenhobby aufgegangen sei. Für Computer-"Killerspiele" habe er sich nie besonders interessiert. Intelligent sei er gewesen und habe gute Noten gehabt, sagen LehrerInnen. Sein Geschichtslehrer Kim Kiuru bezeichnet ihn als "sehr speziell". Er habe sich schon sehr früh für Geschichte und Philosophie interessiert, habe sich aus verschiedenen politischen Ideologien ein eigenes Weltbild zusammengebaut. Dieses suchte gleichzeitig links- wie rechtsradikale Strömungen zu vereinigen und sei "mit dem Faschismus verwandt" gewesen. Kiuru: "Aber niemand wäre je auf die Idee gekommen, dass so etwas passieren könnte." Dabei hatte Pekka-Eric seine Tat unter dem YouTube-Profil "Sturmgeist 89" einen Tag vorher im Internet angekündigt. In einem - entfernten - Video, das den Titel "Jokela High School Massacre - 11/7/2007" trägt, sieht man die Schule von Jokela und dann den Täter mit Pistole: "Ihr werdet euch vielleicht wundern, warum ich das getan habe und was ich wollte", beginnt er und fährt fort: "Ich habe genug. Ich will nicht mehr Teil dieser verrotteten Gesellschaft sein. Die Menschheit ist es nicht wert, für sie zu kämpfen, sondern verdient nur, sie zu töten."
Der Amoklauf von Jokela ist der erste derartige Vorfall in Finnland. Am Tag der Tragödie hatte das Unterrichtsministerium das diesjährige "Jugendbarometer" veröffentlicht. Danach haben finnische Schulkinder viel Vertrauen in die Zukunft und mehr Freunde als in früheren Untersuchungen. Zudem beklagen sie sich kaum über Mobbing.
Doch es gibt auch andere Untersuchungen. 2005 erregte eine Studie Aufsehen, wonach die Kinder im ewigen Pisa-Spitzenreiterland die depressivsten Skandinaviens seien. "Depressionssymptome, die auf eine verkürzte Kindheit und den Druck, vorzeitig erwachsen zu werden, hindeuten", sagt Mitverfasserin Atte Oksanen von der Universität Tampere. "In Finnland sind die Beziehungen der Kinder zu ihren Eltern die schlechtesten in Skandinavien, sie haben die wenigsten sozialen Kontakte."
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