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Finanzmathematiker über Altersvorsorge„Es geht um kurzfristigen Profit“

Der Finanzmathematiker Axel Kleinlein sieht keine Gefahr für die Branche der Versicherer – sondern eine Gefährdung der Kunden.

Überraschung: Versicherungen wollen Geld verdienen. Foto: dpa
Interview von Jakob Pontius

taz: Herr Kleinlein, immer mehr Versicherer wollen Garantieverzinsung bei der Altersvorsorge abschaffen. Ist die private Rente am Ende?

Axel Kleinlein: Wir erleben im Moment, dass die Versicherungsunternehmen versuchen, immer mehr Risiken auf die Kunden abzuwälzen, sie aber nicht sauber darüber aufklären. Die Produkte werden immer intransparenter. Die Frage ist, ob die deutschen Lebensversicherer ihr Geschäft so betreiben können, dass sie den Kunden einen echten Mehrwert bieten. Derzeit anscheinend nicht.

Die Versicherer klagen über niedrige Zinsen. Geht es ihnen denn wirklich so schlecht?

Das Problem der niedrigen Zinsen wird fast vollständig an die Kunden weitergereicht. Die Unternehmen verdienen noch recht gute Renditen, bei den Aktiengesellschaften erleben wir im Moment sogar Dividendenhöchststände. Das heißt: den Unternehmen geht es gut, während es den Kunden sehr schlecht geht. Hier wird für kurzfristigen Profit eine Produktpolitik gefahren, die mittel- und langfristig die deutschen Lebensversicherungen in schwere Bedrängnis bringen wird.

Aber zwingt die anhaltende Niedrigzinsphase die Versicherer nicht, Garantien für die KundInnen zu streichen?

Nein. Sie haben Risikorücklagen von mehr als 50 Milliarden Euro. Wir reden hier über Reservemittel in Größenordnungen, mit denen man fast Griechenland retten könnte. Von einer Gefährdung der Branche zu sprechen ist übertrieben. Was wir haben, ist eher eine Krise für die Kunden, die mit den neuen Produkten keine vernünftige Altersvorsorge mehr betreiben können.

Könnte für KundInnen mit den neuen Verträgen am Ende weniger übrig bleiben, als sie eingezahlt haben?

Das haben wir in vielen Fällen auch jetzt schon. Der eherne Grundsatz: „Wenn ich mehr angespart habe, kriege ich auch mehr Rente heraus“, der stimmt auch nicht mehr generell.

Bild: bdv
Im Interview: Axel Kleinlein

45, ist Diplommathematiker und seit 2011 Vorstandssprecher des Bundes der Versicherten. Er arbeitete unter anderem für die Allianz und die Stiftung Warentest.

Viele haben Angst, dass ihre gesetzliche Rente nicht reicht. Was empfehlen Sie ihnen?

Unabhängige und individuelle Beratung! Sie müssen sich vor Augen halten: Neben dem Eigenheim ist die private Altersvorsorge das Teuerste, was man sich im Leben kauft. Und wie viel Zeit steckt man in die Eigenheimplanung! Man sollte mit ähnlicher Intensität auch die Altersvorsorge angehen.

Was sollte die Politik tun, um VerbraucherInnen besser zu schützen?

Wir brauchen dringend echte Transparenz. Und einen Anspruch auf nachrechenbare Verträge. Im Moment ist Altersvorsorge mit Versicherungsprodukten oft ein bisschen Roulette.

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4 Kommentare

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  • Herr Kleinlein hat sicher recht, für die Branche insgesamt sind niedrige Zinsen nicht gefährlich, ob jedoch jedes Versicherungsunternehmen "am Ende des Tages" noch existiert, ist da schon spannender. Ich vermute, es kommt zu weiteren Fusionen (auf die eine oder andere Art und Weise).

     

    Seit einigen Jahren müssen die Versicherungsunternehmen zusätzliche Reserven aufbauen für Lebens- und Rentenversicherungsverträge in ihrem Bestand, deren Garantiezins höher ist als der durchschnittliche Marktzins. Dieses sinnvolle Instrument trägt dazu bei, vertragliche Ansprüche der Kunden auch befriedigen zu können.

     

    Allerdings vermindert diese Reserve den Jahresgewinn und führt dazu, dass für die Beteiligung der Kunden an Selbigem niedriger oder, je nach Lage des einzelnen Unternehmens, ganz ausfällt.

     

    Sollte dies, und evtl. andere Massnahmen nicht ausreichen, um wenigstens die garantierte Leistung (i. d. R. ist das die Versicherungssumme bzw. die Garantierente) auszahlen zu können, kann das betroffene Unternehmen auch die bereits in der Vergangenheit (also bspw. vor Beginn der Niedrigzinsphase) gutgeschriebenen Überschuss- bzw. Gewinnanteile kürzen - jedoch nur, wenn die BaFin das erlaubt hat (also nicht willkürlich oder nach der Einschätzung des Unternehmens).

     

    In einem Punkt hat, nach meiner Meinung, Herr Kleinlein nicht recht. Transparenz hilft nicht immer, weil die Information vom Kunden verstanden werden muss; und eine unabhängige Beratung kann niemand leisten, weil bei jeder Beraterin, bei jedem Berater immer auch eigene Interessen (übrigens, nicht nur Provisionsinteressen) mitspielen.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)
    • @10236 (Profil gelöscht):

      Sehr interessante und aussagekräftige Grafiken!

       

      Sie zeigen eindrucksvoll, dass es sich nicht um eine Phase ("Durststrecke") handelt.

       

      Allerdings muss es auch eine Strategie geben, die trotzdem gute Erträge bringt; wie sonst haben Reiche und Superreiche ihren Reichtum - auch im ersten Quartal 2015 - um einen zweistelligen Mrd-Betrag (wenn ich mich richtig erinnern sollte: um etwas über 13 Mrd. EURO) steigern können?

      • @Der Allgäuer:

        Sorry, meine Erinnerung hat mir einen bösen Streich gespielt.

         

        Anstatt, wie erwähnt, um ca 13 Mrd. EURO hat sich das Vermögen der Reichen und Superreichen in Deutschland im ersten Quartal 2015 um 140 Mrd. EURO vermehrt (schrieb der SPIEGEL).

         

        Ich wollte in meiner Erinnerung den betroffenen Personenkreis natürlich nicht ärmer machen als er sich schon fühlt.