Finanzkrise anno dunnemals: Radio Bremen sendet Geld
Mit einer feinen Hörspielfassung von Émile Zolas Roman "Das Geld" verdirbt die Landesrundfunkanstalt so richtig schön die selig-satte Weihnachtslaune.

BREMEN taz | Täglich neue Meldungen über aktuelle Konsumtrends und Umsatzsteigerungen auf dem Geschenkemarkt. Einkaufsstress statt kerzenschummriger Adventsbesinnlichkeit. Glühweinbeschwingt werden Präsentberge aufgehäuft. Heißa, er naht, der Geburtstag des Heilands… sowie die alte Scham vor der ewig jungen Kritik am wohlig Materiellen, dem Fest des Geldes.
Diesen Stachel senkt Radio Bremen passgenau ins Weihnachtsfleisch – mit dem zweiteiligen Hörspiel „Das Geld“ nach dem Roman „L’Argent“ von Émile Zola. Das mangels Geld, mit dem unser Hörfunksender ein entsprechendes Studio an der Weser unterhalten könnte, in Berlin aufgenommen wurde.
Mit dabei sind viele altbekannt-beliebte Stimmen – wie Burghart Klaußner, Boris Aljinovic oder auch, eine tolle Hörspiel-Akteurin, die österreichische Schauspielerin Chris Pichler. Christiane Ohaus wählte eine sachliche Inszenierung, mischt mal etwas atmosphärisches Hintergrundgetuschel und -gerausche dazu, zieht kühl musizierte Melodielinien ein, streicht das Personal zusammen.
Teilweise klingt das Hörspiel wie eine vielstimmige Lesung. Zusammengehalten wird der analytische Duktus durch die nüchterne Sanftmut des Erzählers. Und das deutlich sezierte Thema. „Ich wollte den Blutkreislauf des kapitalistischen Systems darstellen und seiner Pumpstation, der Börse“, soll Zola erklärt haben.
Angeregt wurde er durch den für die Dritte Republik bedeutsamen Zusammenbruch der katholischen Bank „L’Union Générale“ und der Skandalfinanzierung des Panamakanals. Kaltblütig porträtiert er nun Feldherren und nützliche Fußvolkidioten in einer entfesselten Schlacht des Geldes.
Und macht (als Goethe-Fan) überdeutlich, was die Welt im Innersten zusammenhält – indem er die Bankiersgeliebte Caroline bei aller Kapitalismuskritik resümieren lässt: „Das Geld wird zum Gärstoff jeglichen sozialen Wachstums, dient den großen Projekten als Humusboden, alles Gute hat seinen Ursprung im Geld, das zugleich auch alles Böse schafft.“
Je perfekter es als Tauschmittel funktioniert, je globaler es wird, desto religiöser wird es zudem aufgeladen: Wer huldigt nicht der Spiritualität der Zahlenreihen, die vor dem Komma auf Kontoauszügen stehen – als Symbol für Verfügungsgewalt über die Wirklichkeit?
Die Begeisterung für den Roman beruht auf verblüffenden Parallelen zwischen Zolas Fiktion und dem Platzen der New-Economy-Blase sowie dem scheinbar endgültigen Crash der Banken unserer Zeit – und, dass im Jahr fünf nach der Pleite der Lehman Brothers doch alles wieder so läuft wie zuvor: Nach der Wirtschaftskrise ist vor der Wirtschaftskrise.
Und während sonst in der europäischen Literatur deren Protagonisten, die Bankiers und Spekulanten, wahlweise geläutert, verspottet oder getötet werden – machen bei Zola alle einfach weiter. Er heilt nichts. Er dechiffriert bloß die Camouflage der Börsenmechanismen, zeigt die Spielerpsychologie als menschliche Konstante. Das ist das Leben.
Bestes Beispiel: Geschäftsmann Aristide Saccard, der zukunftsträchtig Exotik, Vision, Religion und Rendite verbindet. Er will die am Mittelmeer tätigen Dampfschifffahrtsgesellschaften vereinen, Eisenbahnen durch den Nahen Osten bauen und ein Silberbergwerk im biblischen Land ausbeuten. Ein so kommerzieller wie christlicher Kreuzzug zur Rückeroberung Jerusalems, zum Einstreichen grenzenloser Gewinne – und Degradierung jüdischer Financiers.
Durch Bilanzfälschungen und Spekulation treibt er die Kurse seiner eigenen, gerade eröffneten Banque Universelle in die Höhe, ganz ohne jede Wertschöpfung. Er bezahlt Strohmänner, gründet Briefkastenfirmen, instruiert Journalisten – bis die künstlich erzeugte Hausse zusammenbricht.
Zola zeigt dabei auch, warum die Leidtragenden dieses Glücksspiels, die vielen Kleinanleger, nicht bloß Opfer sind. Sie saßen freiwillig, unter Aufgabe von Vernunft und Verstand dem Märchen vom plötzlichen Reichtum ohne Arbeitsaufwand auf. Und sie erlagen, ebenso gierig wie die Drahtzieher der Börsenmanipulation der Magie des Geldes, der Lebenslüge, dass Geld Sicherheit garantiere, eine Quelle des Glücks und geiler als Sex sei. Idealer Desillusionierungsstoff fürs Fest. Frohe Weihnachten.
NDR Info: 22. & 29. 12., 21.05 Uhr, sowie Nordwestradio, 25. &26. 12., jeweils 20.05 Uhr
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung