Finanzierung Europas: Poker um den Fiskalpakt
Spardiktat oder mehr Wachstum? Am Donnerstag trifft Merkel die Spitzen von SPD und Grünen. Kompromisse zeichnen sich ab, doch bei wichtigen Fragen sind die Gräben tief.
BERLIN taz | Was Kanzlerin Angela Merkel und Spitzenleute der Opposition an diesem Donnerstag im Kanzleramt besprechen werden, ist für ganz Europa entscheidend: Merkel hat die Partei- und FraktionschefInnen ihrer Koalition und von SPD und Grünen eingeladen, um einen Kompromiss zum Fiskalpakt auszuloten. Die Einigung wird, egal wie sie am Ende ausfällt, die europäische Politik bestimmen.
Denn es geht um eine höchst relevante Frage: Bleibt der Fiskalpakt ein reines Sparpaket, das allen EU-Staaten unter anderem Schuldenbremsen ähnlich der deutschen vorschreibt? Oder funktioniert er gleichzeitig wie ein Wachstumsprogramm?
Merkel will das Vertragswerk unbedingt vor der Sommerpause vom Bundestag ratifizieren lassen – parallel zur Abstimmung über den dauerhaften Rettungsschirm ESM. Denn beides – Sparen und Hilfe – gehört aus Merkels Sicht untrennbar zusammen. Dumm nur: Die Kanzlerin braucht für eine Zweidrittelmehrheit im Parlament die Opposition. Und SPD und Grüne wollen das Spardiktat durch schlagkräftige Wachstumsprogramme ergänzen.
Kompromiss zwischen Spardiktat und Wachstumsprogramm
Das Treffen ist ein Höhepunkt des seit Wochen andauernden Pokerspiels. Klar ist: Bei einigen Themen werden die Verhandler rasch Kompromisse finden – bei anderen liegen sie weit auseinander. In der Regierung gibt es längst Überlegungen, wie sich im Inland SPD und Grüne gewinnen ließen. Und wie im Ausland ein Kompromiss mit dem französischen Sozialisten François Hollande aussehen könnte. Oft nennen Regierungsstrategen drei Punkte:
■ Gut leben kann Schwarz-Gelb mit einer Aufstockung des Kapitals der Europäischen Investitionsbank (EIB) durch die EU-Staaten. Kanzlerin Angela Merkel hat sich bereits hinter die Idee gestellt. Im Gespräch sind zehn Milliarden Euro. Mit umgewidmeten Programmen würde die EIB Firmen und Geldgeber, die in überschuldeten Ländern investieren wollen, unterstützen.
■ Ebenfalls werden in Regierungskreisen sogenannte Projektanleihen genannt, die man verstetigen könne. EU-Kommission und -Parlament haben bereits vereinbart, das Instrument bis 2013 auszuprobieren. Es soll bis zu 4,6 Milliarden Euro Privatinvestitionen mobilisieren. Solche Anleihen werden von Privatunternehmen herausgegeben, um Großprojekte zu finanzieren – die EU-Kommission und die EIB springen ihnen mit Garantien und Krediten bei.
■ Koalitionspolitiker propagieren zudem, Mittel der EU-Strukturfonds von bis zu 80 Milliarden Euro für mehr Wachstum auszugeben. Selbst Außenminister Guido Westerwelle (FDP) wirbt neuerdings für diesen Weg – und platzierte passend zum EU-Sondergipfel am Mittwoch einen 6-Punkte-Plan für einen Wachstumspakt.
Die drei Punkte könnten wohl auch SPD und Grüne unterschreiben. Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick hält die Aufstockung des EIB-Kapitals für sinnvoll. Sie allein löse aber die Probleme nicht: „Sie setzt ja auf die Nachfrage der Investoren. Solange jedoch Unternehmen fürchten, dass in Ländern wie Spanien die Wirtschaft zusammenbricht, werden sie sich vor Investitionen hüten.“
Konfliktpotential Transaktionssteuer
SPD und Grüne wollen deshalb mehr für ein Ja zum Fiskalpakt. Eine der wichtigsten Forderungen ist ein europäischer Schuldentilgungsfonds. Die EU-Staaten würden dabei all die Schulden, die 60 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes – diesen Wert definiert der Maastricht-Vertrag – übersteigen, in einen Fonds überweisen. Für diesen bestünde zwar eine gemeinsame Haftung gegenüber Schuldnern.
Jeder Staat bliebe aber für die Tilgung seines Anteils selbst verantwortlich. „Die gemeinsame Bonität garantiert, dass die Märkte gegen einzelne Länder keine Zinsspirale mehr in Gang setzen“, sagt Schick. Merkels Koalition lehnt dies ab: Deutschland dürfe nicht für Schulden anderer Länder haften, so das Argument.
Unklar ist auch, wie ein Kompromiss bei einem zweiten Konflikt aussehen könnte: SPD und Grüne fordern ein Bekenntnis zur Finanztransaktionsteuer, die Koalition ist dagegen und verweist auf skeptische Euroländer. Das will die Opposition nicht akzeptieren: Die Steuer könne zur Not auch nur mit einigen Partnern eingeführt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück