Filtersoftware in Diktaturen: Exportschlager Zensur
Wenn autoritäre Regierungen die Internetverbindungen kappen, protestiert der Westen vehement. Doch westliche Firmen liefern die Technik, die Netzzensur möglich macht.
Für US-Außenministerin Hillary Clinton ist der Umgang mit dem Internet eine Herausforderung für sämtliche Staaten der Welt. "Wir brauchen eine globale Verpflichtung für die Internetfreiheit", forderte die Politikerin in einer Grundsatzrede Mitte Februar und kritisierte die Internetzensur im Iran, in China und auf Kuba.
Doch es gibt mehr Regierungen, die ihren Bürgern den freien Zugriff auf das Internet vorenthalten. So führt die Organisation "Reporter ohne Grenzen" auf ihrer Liste der "Feinde des Internets" auch Saudi-Arabien und Syrien, bis zu den Aufständen in Nordafrika waren auch Ägypten und Tunesien auf der Liste.
Die OpenNet-Initiative kritisiert in einem nun veröffentlichten Bericht die Verwicklung westlicher Firmen in die Internetzensur. "Mindestens neun Staaten im Mittleren Osten und Nordafrika nutzen westliche Filtersysteme, um den Nutzern Zugriff auf Online-Inhalte zu verwehren", schreiben die Autoren in ihrer Untersuchung.
Welche Software hinter einer Zensur steckt, ist nicht immer einfach herauszufinden. Manchmal helfen aber die Sperrhinweise, die beim Aufruf unerwünschter Webseiten erscheinen, die dabei eingesetzte Software zu identifizieren. So setzen die staatlichen Provider in Qatar und den Vereinigten Arabischen Emiraten die in Kanada produzierte Software "Netsweeper" ein, um von der Regierung unerwünschte Inhalte auszufiltern. Die Firma wirbt sogar damit, Inhalte gemäß sozialer oder religiöser Vorgaben zu blockieren.
Auch IT-Konzern Intel verdient mit dem Geschäft an der Zensur. Nach den Erkenntnissen der OpenNet-Initiative setzen Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwait, Bahrain, Oman und Tunesien auf die Produkte der Intel-Tochter SmartFilter. Manche Firmen beschränken sich nicht nur darauf, die Blockade-Technik zu liefern, sie erstellen auch gleich vorgefertigte Sperrlisten.
Kinderschutzsoftware als Mittel zur Massenzensur
Ein Produkt, das in den USA verhindern soll, dass Kinder im Unterricht Chat-Seiten ansurfen oder Angestellte am Arbeitsplatz ihre privaten E-Mails abrufen, wird auf Regierungsebene zum Mittel der Massenzensur. "Wenn es niemand verhindert, wird die Technologie, die eigentlich nur zum Schutz von Kindern auf wenigen PCs eingesetzt werden soll, plötzlich zum Mittel der Massenzensur", schreiben die Autoren der aktuellen Studie. Statt an Schule und Arbeitsplatz werden vermeintlich gefährliche Webseiten wie soziale Netzwerke einfach überall gesperrt.
Westliche Regierungen haben offenbar kein großes Problem mit dem Zensur-Export. So hat sich bisher nur die amerikanische Firma Websense dazu durchgerungen, den Einsatz ihrer Software für groß angelegte Zensurversuche zu verbieten.
Auch in Europa ist Zensurtechnik ein ganz normaler Exportartikel, wie der ORF recherchiert hat: Abhörsichere Kommunikationstechnik für den militärischen Gebrauch ist genehmigungspflichtig, Filtertechnik zur Massenzensur hingegen nicht. "Aus meiner Sicht sind die amerikanischen Unternehmen im Export von Zensurtechnologie führend", sagte Zensur-Experte Jens Kubieziel der taz.
Eines der bekannten europäischen Beispiele sei die Firma Nokia Siemens Networks, die beispielsweise Technik in den Iran geliefert habe. "Dort wird diese aktiv zur Repression der Bevölkerung genutzt", kritisiert Kubieziel. Mittlerweile setzten Länder wie China aber auf selbst entwickelte Software zur Zensur, die sie auch an anderen Staaten weiter verkaufe.
Statt mit Embargos die Internetfreiheit zu fördern, setzt die US-Regierung auf Förderprogramme, um die Internetzensur in bestimmten Staaten zu hintertreiben. Dabei zeigte die Regierung nicht immer eine glückliche Hand. So unterstützte Außenministerin Clinton das Projekt "Haystack" des Programmierers Austin Heap. Der hatte versprochen, dass seine Software die Internet-Zensur im Irak umgehen und verdächtigen Internetverkehr harmlos aussehen lassen könnte.
Doch als unabhängige Beobachter die Software unter die Lupe nahmen, wurde das vermeintliche Wunderwerkzeug als Schwindel entlarvt. Um weitere Blamagen zu umgehen, setzt die US-Regierung jetzt offenbar auf etabliertere Organisationen. Wie der Guardian berichtet, verhandelt das US-Außenministerium derzeit mit der britischen BBC. Der staatliche Rundfunk soll mit Mitteln aus den USA aktiv versuchen die Informationsblockaden in China und Iran zu umgehen.
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