„Filterblasen“ bei der Internetnutzung: Ungesunde Infohäppchen
Wer Google oder Facebook nutzt, landet in der Filter-Blase: vermeintlich Unliebsames wird herausgefiltert. Es gibt immer mehr vom Gleichen.
Das ist ein Beispiel, mit dem der Autor Eli Pariser 2011 den Begriff der Filter Bubble prägte. Der Gedanke: Zahlreiche Web-Angebote packen den Nutzer in eine Blase. Sie setzen ihm die Happen vor, von denen der Dienst meint, dass der Nutzer sie haben will. Dafür enthalten sie ihm andere, vermeintlich ungewollte Stücke vor.
Das klingt erst mal nach Service. Schließlich ist quasi der Arbeitsauftrag eines Nutzers an die Suchmaschine: Zeig mir die relevanten Links zum Suchwort oben auf einer Liste an, die weniger relevanten unten. Das Problem ist: Die Frage „Was ist relevant“ beantwortet die Suchmaschine selbst. Und auf einer Basis, die für den Nutzer nicht transparent ist.
Als Pariser vor vier Jahren den Begriff der Filter Bubble prägte, ging es noch primär um Informationen. Nachrichten, Google, Facebook, Yahoo. Doch die Blase wird größer. Heute gibt es kaum noch einen kommerzialisierten Bereich im Netz, der ohne sie auskommt. Amazon praktiziert seit Jahren sehr erfolgreich eine Filter Bubble bei Waren, die meisten Onlineshops haben nachgezogen.
Vergangenheit bestimmt Zukunft
Streamingdienste orientieren sich an Hörgewohnheiten, Videodienste an den in der Vergangenheit präferierten Serien und Genres. App-Stores schlagen dem Nutzer Anwendungen vor, die er noch brauchen könnte, Hotelvermittler werden einem Urlauber, der stets mit seiner Familie nach Italien fährt, kaum einen Trip zu zweit nach Skandinavien vorschlagen. Die Devise: Immer mehr vom Gleichen. Pariser sprach damals von „Information Junkfood“. Eine unausgewogene Ernährung statt ein bisschen von allem. Auch dem, was einem vielleicht nicht so schmeckt.
Die Filter Bubble basiert auf zwei Mechanismen, von denen jeder für sich schon problematisch genug ist. Das eine ist das massenhafte Sammeln persönlicher Informationen über die Nutzer. Wer sich ohne spezielle Anonymisierungswerkzeuge im Internet bewegt, hinterlässt Spuren. Von Interessen, Vorlieben und finanzieller Situation über – mutmaßliches – Alter und Geschlecht bis hin zum Standort. Das zweite Problem: Unternehmen werten diese Daten aus und ziehen daraus Schlüsse – auf einer Basis, die der Nutzer nicht kennt.
Wie sehr sich das in der Praxis auswirken kann, zeigt nicht nur das Beispiel Ägypten. Ein Team der Carnegie Mellon University und des International Computer Science Institute untersuchten, welche Jobanzeigen Googles Werbenetzwerk seinen Nutzern präsentiert. Und fanden laut der im Frühjahr publizierten Studie heraus: Nutzer, die von Google als männlich identifiziert wurden, bekamen mit höherer Wahrscheinlichkeit hochbezahlte Führungsjobs angeboten als solche, die als weiblich identifiziert wurden.
Die Welt wird kleiner
Das muss nicht an Google liegen, schließlich können Drittanbieter von Anzeigen selbst Kriterien für Nutzer definieren, denen die Anzeigen ausgeliefert werden. Doch das ethische Problem ist das gleiche wie bei der Filter Bubble: ein Algorithmus, der auf einer für den Nutzer nicht nachvollziehbaren Datengrundlage Ergebnisse ausspuckt und ihn so beschränkt.
Und die Blase ist bereits dabei, sich auf den nächsten Bereich auszudehnen: den Haushalt. Thermostate, die automatisch nach Uhrzeiten, Wetterlagen und Schlafgewohnheiten die Wohnung heizen oder kühlen, gibt es bereits; nächster Schritt sind weitere sich vernetzende Hausgeräte. Sie verkleinern die Welt innerhalb des Filters nicht nur um Wissen, Nachrichten, Unterhaltung, Konsum. Sondern auch ganz direkt um Handlungsoptionen. Warum abends noch ausgehen, wenn doch schon die Wohnung geheizt wird? Warum Kirschjoghurt kaufen, wenn doch schon die automatische Bestellung für den Einkauf samt Erdbeerjoghurt rausgegangen ist?
Natürlich, das lässt sich alles ausstellen, ändern, ignorieren. Es lassen sich auch Browser-Cookies löschen, Anti-Tracking-Tools installieren und die Suchmaschine wechseln, um der Blase zu entfliehen. Laut dem Analyseportal Statcounter lag in Deutschland der Marktanteil des Google-Suchdienstes im Juni bei 93 Prozent.
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