Filmtipps für Berlin: Verschränkte Karrieren
Das Lichtblick zeigt „Poly Styrene–I Am a Cliché“: ein Porträt der einflussreichen X-Ray Spex-Frontfrau. Im b-ware!-Kino geht es um das imperiale Japan.
Some people think little girls should be seen and not heard“, lautet die erste Textzeile von „Oh Bondage! Up Yours!“, des wohl bekanntesten Songs der britischen Punkband X-Ray Spex. Und allen, die im Jahr 1977 möglicherweise tatsächlich noch so dachten, zeigte die anglo-somalische Sängerin und Songschreiberin Poly Styrene zumindest in übertragenem Sinn den Stinkefinger.
Nur eine LP („Germfree Adolescents“, 1978) machte die Band damals, aber die war beeindruckend, mit ihrer treibenden Musik, der atemlosen Stimme und den prima Texten über die Absurditäten der Konsumgesellschaft. Und irgendwie war es damals ja auch immer noch etwas Besonderes, wenn Frauen eine eigene Band hatten, für die sie die Songs selber schrieben.
Der Dokumentarfilm „Poly Styrene – I Am a Cliché“ von Paul Sng und Celeste Bell (der Tochter von Poly Styrene) porträtiert die 2011 an einer Krebserkrankung verstorbene Musikerin mit bislang unveröffentlichtem Archivmaterial und Interviews mit Zeitgenoss:innen und Musiker:innen, die den nachhaltigen Einfluss bezeugen, den Poly Styrene als rebellischer und zugleich positiver Geist auf Musikszenen in aller Welt ausgeübt hat (30.6., 20.30 Uhr, Lichtblick-Kino, präsentiert von Soundwatch – Berlin Music Film Festival).
Filmische Überlegungen zum imperialen Japan
Als Schauspielerin war Kinuyo Tanaka in Japan ein Star, von den Tagen des Stummfilms bis 1976 drehte sie fast 220 Filme und arbeitete mit den bekanntesten japanischen Regisseuren. Zwischen 1953 und 1962 inszenierte sie (als zweite Regisseurin Japans überhaupt) aber auch sechs Filme selbst, in denen sie konsequent die Lebensgeschichten und Schicksale von Frauen in den Mittelpunkt rückte.
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Oft im Nachkriegsjapan mit all den dort anstehenden Veränderungen, doch ihr Film „Ruten no ohi“ (The Wandering Princess, 1960) geht noch einen Schritt zurück in jene Zeit, als das imperiale Japan versuchte, weite Teile Südostasiens unter seine Kontrolle zu bekommen. Darunter auch die Mandschurei in China, wo man den Marionettenstaat Mandschukuo errichtet hatte: Ryuko (Machiko Kyo), eine junge Frau aus einer alten aristokratischen Familie, soll auf Betreiben des Militärs mit dem Bruder des dortigen Kaisers verheiratet werden – dabei hatte sie gerade von einer Karriere als Künstlerin geträumt. Stattdessen gerät sie in die Zwangsjacke politischer und militärischer Überlegungen, von denen sie nichts versteht. Die Filme von Kinuyo Tanaka sind im Kino Arsenal noch bis zum 24. Juli zu sehen (3.7., 20 Uhr, 13.7., 20 Uhr, Kino Arsenal).
Noch einmal Japan, aber aus einer komplett männlichen Sicht: Der japanische Leutnant Hirō Onoda harrt als letzter Überlebender seiner Einheit bis 1974 auf der philippinischen Insel Lubang aus, und will nicht wahrhaben, dass der Zweite Weltkrieg längst beendet ist. Der französische Regisseur Arthur Harari hat sich in „Onoda“ dieser wahren Geschichte angenommen und interessiert sich in seinem Dschungel-Kammerspiel vor allem für die psychische Verfassung der Soldaten, als diese für das kaiserliche Japan in den Krieg ziehen: die Vorstellungen von Ehre, Ruhm, Pflichterfüllung und Vaterland, sowie von (rassistisch geprägter) Überlegenheit, die ihnen eingetrichtert werden vom Militär, von der Gesellschaft und der Familie. Werte, an denen sie sich auch Jahrzehnte später noch festhalten.
Dass der Soldat, der nie aufgeben will, schließlich von einem japanischen Touristen gefunden wird, ist die letzte realsatirische Wendung dieser Geschichte um eine Weltsicht, in der Fakten keine Rolle spielen (30.6., 1.7., 11 Uhr, b-ware! Ladenkino).
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