Filmstart „Quartett“: Im achten Jahrzehnt
Dustin Hoffman dreht im Alter von 75 Jahren seinen ersten Film als Regisseur. „Quartett“ reiht sich charmant ins Genre des „Alterskinos“ ein.
Man kann dem Thema Alter im Kino nicht mehr entkommen. Sei es Alter und Tod in Michael Hanekes „Liebe“, Alter und Pflege in der Krimikomödie „Robot & Frank“ oder Alter und Sex in „Wie beim ersten Mal“: 2012 scheint das Kinojahr der Senioren gewesen zu sein, ganz zu schweigen von der steten Flut der „Alzheimer-Filme“, die quasi schon ein eigenes Subgenre im „Alterskino“ bilden. Dann gibt es da noch den neuen Trend des „Altern im Kollektiv“-Films. In „Best Exotic Marigold Hotel“ waren das eine Handvoll Briten, die es ins Billiglohnland Indien verschlug. Im französischen Film „Und wenn wir alle zusammenziehen?“ überprüften ein paar Freunde, ob der alte Protestgeist noch genug gemeinsame Grundlage bietet.
Dustin Hoffmans „Quartett“ stellt nun den Zusammenhalt unter alten Sängern und Musikern in einem speziell für die Veteranen ihres Berufsstands gegründeten Heim auf die Probe. Es handelt sich dabei um das Regiedebüt des mittlerweile 75-jährigen Hoffman, der sich auf die langjährige Erfahrung des 78-jährigen Drehbuchautors Ronald Harwood stützt.
Der Vorteil der Alters-WG-Situation im Film liegt auf der Hand: Man kann gleich mehrere alte Stars verpflichten. Im Fall von „Quartett“ sind das so namhafte Meister ihres Fachs wie Maggie Smith, 78, Tom Courtenay, 75, Pauline Collins, 72, Michael Gambon, 72, und als Youngster Billy Connolly, 70. Bereits in den ersten bilderbuchhaften Szenen, die das vor Musikalität vibrierende Altersheim an seinem bilderbuchhaften Ort, einem prächtigen Landsitz in saftig grüner englischer Landschaft, vorstellt, wird auch schon der nächste Vorteil des Alters-WG-Films deutlich: Ist man erstmal unter lauter Alten, spielt das Alter keine Rolle mehr.
Pennäler im Altenheim
Das Treiben in dem sogenannten „Beecham House“ gleicht deshalb auch mehr dem, was man aus Highschool- und Pennälerfilmen kennt: kleine, harmlose Streiche, viel Tuscheleien und gelegentlich Anzüglichkeiten, die hier die Spezialität von Billy Connollys Figur „Wilf Bond“ sind, dem Spätpubertierenden.
Die Handlung ist recht übersichtlich: In die Beschaulichkeit hinein platzt die Nachricht über einen Neuzugang. Zwar wird Jean (Maggie Smith) als große Sänger-Diva mit Standing Ovations begrüßt, es gibt aber einen, den ihre Ankunft geradezu schmerzt: Reginald (Tom Courtenay), mit dem sie vor Jahren verheiratet war. So kurz die Ehe auch dauerte, so offen ist für Reginald noch die Wunde. Die Versöhnung der alten Liebenden wird bald zur zentralen Überlebenssache des ganzen Hauses, denn für das jährliche Spendensammelkonzert soll Jean mit Reginald, Wilf und der vergesslichen Cissy (Pauline Collins) ihr einst legendäres Sänger-Quartett wiederbeleben.
Wie gesagt, die Handlung ist übersichtlich und kommt ohne Überraschungen aus – was dem Charme des Ganzen allerdings keinen Abbruch tut. Zwar könnte man sich wünschen, dass Hoffman in puncto Musik ein wenig mehr Risikofreude gezeigt und nicht ausschließlich auf die Gassenhauer der Oper gesetzt hätte, aber sein Schauspielveteranenteam, das hier von zahlreichen echten Veteranen des Musik-Business unterstützt wird, macht solch billiges Anbiedern um Längen wett. Mit der Erfahrung ihrer sieben Jahrzehnte hauchen sie ihren plakativ angelegten Figuren ein jeweils eigenes Leben ein.
Kantig und scharfzüngig
Dabei müsste Maggie Smith eigentlich nur wiederholen, was sie von „Gosford Park“ bis „Downton Abbey“ als kantig-scharfzüngige Alte perfektioniert hat, doch hier fügt sie dem eine unerwartete Wärme hinzu. Pauline Collins hat als von Vergesslichkeit Geplagte die vielleicht klischeehafteste Rolle, doch im liebevoll-spöttischen Austausch mit ihren Rivalen und Freunden scheint auch so etwas wie eine verheißungsvolle Utopie des Aufgehobenseins auf. Billy Connolly schließlich als Lustgreis Wilf entgeht dem eigenen Klischee durch Klarstellung: er insistiert auf Sex als Indikator dafür, noch nicht tot zu sein.
Der sehr sehenswerte Abspann stellt die Darsteller mit Kurzvita und einem Bild aus den Anfängen ihrer Karriere vor. Es ist ein Reigen der Jungen, Hübschen und Hoffnungsfrohen – aber ihre alten Gesichter mag man am Ende fast mehr.
„Quartett“. Regie: Dustin Hoffman. Mit Billy Connolly, Maggie Smith u. a. GB 2012, 95 Min.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart