Filmreihe im Berliner Zeughauskino: Der Blick der Anderen
Eine Werkschau im Zeughauskino versammelt internationale Perspektiven und Projektionen auf Berlin. Und damit auch fast 100 Jahre Filmgeschichte.
Kinoabend auf Hickam Field, einer US-Luftwaffenbasis im Pazifik. Die Soldaten der Lufttransporteinheit sehen Bilder der Berliner Blockade. Emotionen kommen jedoch erst auf, als die Wochenschau das Thema wechselt und junge Frauen im Badeanzug zeigt. Ein Teil der Arbeit wird verlegt, nach Berlin, zur Luftbrücke. George Seatons „The Big Lift“ blickt wenige Monate nach dem Ende der Berliner Luftbrücke zurück auf die logistische Leistung der Luftbrücke und das Verhältnis der US-Truppen zur deutschen Bevölkerung.
Seaton entfaltet die rückblickende Dokumentation entlang einer Spielhandlung um die Beziehungen zweier US-Soldaten zu ihren deutschen Freundinnen. Die Spielhandlung zeugt vom allmählichen Übergang der Vorsicht, die wenige Jahre zuvor noch in den Filmen herrschte, mit denen die US Army ihre Soldaten auf ihre Zeit in Deutschland vorbereitete: „Ihr seid in Feindesland. Seid wachsam, vorsichtig gegenüber jedem, geht keine Risiken ein. Ihr habt es mit der deutschen Geschichte zu tun.“
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
So zwiespältig der Blick auf die deutsche Bevölkerung in „The Big Lift“ ist (nicht zufällig lief der Film erst Jahre später in Berliner Kinos), so sehr ist diese Zwiespältigkeit schon ein Schritt in Richtung der Realitäten der Nachkriegszeit und des Kalten Kriegs.
Blicke auf Berlin
Im Rückblick ist „The Big Lift“ jedoch weniger für diese seine Handlung interessant, als für die Bilder Berlins. Schon der Anflug über Neuköllner Wohnblöcke auf den Flughafen Tempelhof ist unterdessen Geschichte. „The Big Lift“ läuft am Samstag als Teil einer Reihe des Berliner Zeughauskino zu internationalen Blicken auf Berlin. Der Filmhistoriker Jan Gympel hat in der Filmreihe „Berlin International“ eine Filmgeschichte von Perspektiven und Projektionen auf Berlin versammelt.
Berlin International: 1. Oktober bis 21. November 2020, Zeughauskino im Deutschen Historischen Museum, Unter den Linden 2
Zur Eröffnung (und noch einmal am Sonntag) läuft das futuristische Musical „The Apple“ von 1980 des israelisch-amerikanischen Genrefilmproduzenten Menahem Golan, das ein unbedarftes Paar zeigt, das in den 1990er Jahren unter die Musikproduzenten fällt.
Einer der Filme, nach dem man sich fragend den Kopf kratzen wird, ist H. Bruce Humberstones „Charlie Chan at the Olympics“ von 1937. Der Film ist Teil der Filmreihe um den chinesisch-hawaiianischen Polizisten Charlie Chan, die von den 1920er Jahren bis in die 1930er Jahre entstand. Die Figur Charlie Chans beruht lose auf dem Leben von Chang Apana, der als Sohn einer chinesischen Familie Polizist bei der Polizei in Honolulu wurde.
„Charlie Chan at the Olympics“ erzählt von der Erfindung einer Fernsteuerung für Flugzeuge, die bei einem Testflug gestohlen wird. Die Spur führt zu einer Band deutscher Krimineller mit Schiff, Flugzeug und Luftschiff von Hawaii mittenhinein in den Trubel der Olympischen Spiele in Berlin 1936. Warum kratzt man sich am Kopf? Humberstones Film zeigt Berlin 1936 als befände man sich in den 1920er Jahren und die Nazis fänden nicht statt.
Die Berliner Polizei, die in der Mehrheit diesen Jahren fleißig bei der Unterdrückung von Antifaschisten hilft, ist in dem Film eine etwas unbeholfene, aber beflissene Polizei, die Chan bei der Lösung des Falls hilft. Und dann ist da noch die Figur Chans.
Was macht man heutzutage mit Filmen über die Figur eines chinesisch-hawaiianischen Polizisten, die auf einer realen Figur basiert zeitgenössisch als das progressive Gegenbild zur Verkörperung des rassistischen Stereotyps der „gelben Gefahr“ in Dr Fu Manchu galt, wobei beide Rollen gespielt wurden von einem gebürtigen Schweden mit „Yellow facing“?
Eine eigene Auswahl treffen
Die Reihe präsentiert Filme aus den beiden deutschen Staaten, den USA, Großbritannien, der Türkei, Belgien, Frankreich, Italien der UdSSR von den 1920er Jahren bis in die 1990er. Wenn man vor der Qual der Wahl steht und nicht alle Filme der Reihe sehen möchte, ist es besonders aufschlussreich sich für entweder dafür zu entscheiden alle Filme aus einem Land zu sehen und zu beobachten wie sich der Blick auf Berlin (und auf Deutschland) verändert oder sich auf einen Zeitraum zu beschränken.
Wer beispielsweise alle Filme aus den USA anguckt, sieht die Entwicklung der transatlantischen Allianz mit West-Deutschland bis in die 1960er Jahre und die Neujustierung des amerikanischen Blicks auf Berlin nach dem Fall der Mauer in „Flirt“, den der US-Independent-Regisseur Hal Hartley 1995 unter anderem in Berlin dreht.
Wer dem türkischen und später türkisch-deutschen Kino durch die Reihe folgt, sieht in den Filmen von Zeki Ökten („Deutschland, bittere Heimat“), Sinan Çetin („Berlin in Berlin“) und Şerif Gören („Polizei“) einen Blick auf Deutschland, der über die Filmfördererfolge deutsch-türkischen Kinos der 1990er Jahre unsichtbar geblieben ist.
Ein einziger Film aus der direkten Wendezeit findet sich in der Reihe, der aber hat es in sich. Der jugoslawische Regisseur Dušan Makavejev dreht Anfang der 1990er Jahre einen Film über die Orientierungslosigkeit nach dem Fall der Mauer.
In „Gorilla Bathes at Noon“ driftet ein Offizier der sowjetischen Armee durch die Stadt, schläft auf Dächern, findet bei einer Gruppe Außenseiter Unterschlupf. Beinahe zärtlich adoptiert er die Lenin-Statue auf dem Platz der Vereinten Nationen und begleitet den – kürzlich wiederentdeckten – Kopf der Statue auf dem LKW aus der Stadt. „Berlin International“ ist ein wunderbares Angebot für alte und neue Berliner:innen, sich der Stadt mit neuen Augen zu nähern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind