Berliner Kinotipp der Woche: Zwischen Träumen und Realität

Das Festival „Film Restored“ der Deutschen Kinemathek lädt zu Entdeckungen quer durch die europäische Filmgeschichte ein.

Betty Balfour als Revuetänzerin Tip Toes

›Love, Life and Laughter‹ Szene aus „Love, Life, Laughter“, Großbritannien 1932, George Pearson Foto: © BFI

„Unsere düstere und sorgenreiche Zeit braucht Betty Balfour, denn sie bringt Ablenkung mit ihrem gesunden Humor und ihrem silbernen Lachen,“ so die niederländische Zeitung De Telegraaf über „Love, Life and Laughter“ anlässlich von dessen Premiere 1923.

Der britische Regisseur George Pearson inszeniert Balfour, eine der beliebtesten britischen Schauspielerinnen der Zeit, in dem Film als Revuetänzerin Tip Toes. Einige Stockwerke über ihr wohnt ein junger Schriftsteller. Die beiden sind ein ungleiches Paar, sie ein tänzerischer Wirbelwind, er ein grummeliger Sorgenkopf. In Pearsons Film finden sie über das Hin und Her zwischen der Welt ihrer Träume und ihrer Realität allmählich zueinander.

Fast 100 Jahre war der Film verschollen, die Suche des British Film Institute blieb lange erfolglos – bis das niederländische Filmmuseum Eye vor einigen Jahren eine Kopie in der eigenen Sammlung entdeckte. Pearsons Film ist nur eine der Entdeckungen, die man auf dem Festival „Film Restored“ der Deutschen Kinemathek machen kann.

Eröffnet wird das Festival am kommenden Dienstag mit einer weiteren neuen Fassung von „Kuhle Wampe“, Slatan Dudows Klassiker des proletarischen Films der Weimarer Republik. Dudows Film liegt nun mit einer barrierefreien Fassung vor, die den Film durch Audiodeskription beziehungsweise Untertitel auch für Menschen mit Seh- oder Hörbehinderung zugänglich machen.

Die Tyrannei der Macht

Die interessantere Wiederentdeckung ist eine Verfilmung von Miguel de Cervantes „Don Quichotte“, die der deutsche Regisseur Georg Wilhelm Pabst im Herbst 1932 realisierte, kurz vor der Machtübertragung an die Nationalsozialisten in Deutschland. Pabsts Don Quichotte wird „nicht von Windmühlen, sondern von der Tyrannei der Macht niedergestreckt“ (Programmtext).

Film Restored, 27. Oktober bis 1. November im Kino Arsenal

Eine weitere Entdeckung ist Rolands Kalniņš’ sowjetisch-lettischer Film „Akmens un šķembas“. Der Film blickt zurück auf lettische Soldaten, die mit den deutschen gegen die sowjetische Armee kämpften. Der Film wurde nur in einer stark zensierten Fassung gezeigt. Die Restaurierung hat nun sowohl diese Zensurfassung als auch die ursprüngliche Fassung gesichert.

Wie in den Vorjahren ist das Festival eine Mischung aus Konferenz und Filmprogramm. Der Konferenzteil wird am Mittwoch passenderweise mit durch zwei Vorträge, die sich der Arbeit des internationalen Verbands der Filmarchive, der FIAF, widmen. Die Vorträge von Camille Blot-Wellens und Christophe Dupin stellen zwei Beispiele vor, bei denen die FIAF beigetragen hat, das Wissen der Filmarchive in aller Welt zu bündeln. Die Vorträge stehen überdies auf der Website des Festivals bereit.

Eine Gruppe Radfahrer, Filmszene

Szene aus „Kuhle Wampe“, Deutschland 1932, Slatan Dudow Foto: Deutsche Kinemathek

Auf herausgeputzer Leinwand

Ein Fensterputzer steht am Beginn von Tatjana Ivančićs Kurzfilm „Grad u izlogu“ (Stadt im Schaufenster) von 1969, als müsste die Leinwand für das Stadtleben erst gereinigt werden. Ivančićs Film ist ein Spiel mit dem Großstadttreiben, das sich in den Schaufensterscheiben der Geschäfte spiegelt. Manchmal überlagern sich gleich mehrere Reflexionen zu einem Bild. Unterlegt mit Rockmusik sind die Bilder des Films eine kurze Ode an die Urbanität. „Grad u izlogu“ ist Teil eines Kurzfilmprogramms mit elf Filmen von Ivančić, die das Österreichische Filmmuseum restauriert hat.

Die Arbeiten des Filmmuseums gehen zurück auf eine Bitte des Kinoklub Zagreb, sich der Filme der 1986 verstorbenen Ivančić anzunehmen. Das Kurzfilmprogramm ist eine Erinnerung daran, dass die oft besonders aufwändige Restaurierung von Experimentalfilmen ein unverzichtbarer Teil der Pflege der Filmgeschichte ist.

In ihrem Zusammenspiel verweisen die Filme auf die verschiedenen Funktionen von Restaurierungen bei der Pflege des Materials der Filmgeschichte: Filme werden wie bei den Filmen Ivančićs oder George Pearsons „Love, Life and Laughter“ wieder sichtbar, frühere Fassungen werden wie bei Kalniņš’ „Akmens un šķembas“ wiederhergestellt. Die barrierefreie Fassung von Slatan Dudows „Kuhle Wampe“ wiederum zeigt, dass die Pflege von Filmgeschichte nicht nur der Vergangenheit verpflichtet ist, sondern auch der Gegenwart und historische Filme immer wieder aufs Neue für breiteres ein Publikum zugänglich macht. Dazu passt, dass einige der Filme ab dem 27. Oktober unter www.film-restored.de verfügbar sein werden.

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