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Filmkunstfest SchwerinVon der Kunst und dem Überleben

Beim 33. Filmkunstfest in Schwerin zeigen drei Dokumentarfilme die Mühen von Künst­le­r*in­nen in der sogenannten Provinz.

„Dann gehste eben nach Parchim“: Die Nicht-mehr-Schauspielstudentinnen Gesa und Arikia haben ein erstes Engagement bekommen Foto: Dieter Schumann/Basthorster Filmmanufaktur

Bremen taz | „Dann gehste eben nach Parchim“: Einen passenderen Titel hätte man kaum finden können. Diesen Satz – oder einen sehr ähnlichen – haben wohl die meisten Schau­spie­le­r*in­nen am Beginn ihrer Karriere schon mal gehört: Wenn die großen Theater, die Häuser in den Metropolen dich nicht haben wollen – dann geh in die Provinz!

Genau an diesem Scheidepunkt stehen die beiden jungen Schauspielerinnen Gesa und Arikia am Anfang von Dieter Schumanns nun so betiteltem Dokumentarfilm: Beide haben ihren Abschluss an einer Schauspielschule in Hamburg gemacht, nun packen sie ihre Sachen Richtung Mecklenburg-Vorpommern, in die Kreisstadt Parchim. Am dortigen Landestheater haben sie ihre ersten Engagements bekommen.

Zwei Jahre lang hat Schumann sie mit der Kamera begleitet – durch die Coronazeit mit abgebrochenen Proben zu Stücken wie „Die Nibelungen“ und „Antigone“. Mit den beiden lernt man im Laufe des Films – zu sehen beim Filmkunstfest Schwerin nun zwei Mal am 2. sowie nochmals am 4. Mai – auch dieses Theater kennen, mit all seinen Gewerken, den Schauspieler*innen, verschiedenen Regisseur*innen, dem Requisiteur und einem Intendanten, der so gar nicht dem Klischee vom „Herren des Hauses“ entspricht.

Die Kamera ist immer nah dran, sowohl an den beiden jungen Frauen, die sich mit der Zeit zunehmend öffnen und von ihren Hoffnungen und Ängsten erzählen. Aber auch am Mikrokosmos Theater selbst: Da kann man mit ansehen, wie eine Inszenierung von der ersten Lesung bis zur Premiere langsam Gestalt annimmt, wie bei den Proben um einzelne Gesten gerungen wird – und wie damit umgegangen, dass direkt vor dem Haus die rechtsextreme NPD Wahlkampf macht.

Das Filmkunsfest

Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern: 30. 4. bis 5.5, Schwerin; Infos und Programm: www.filmkunstfest.de

Deutlich wird auch, mit welchem Engagement, mit welcher Leidenschaft hier für die Kultur gekämpft wird – und dass „Provinz“ nicht automatisch „zweitklassig“ bedeuten muss. Wie zum Beweis ließ Schumann die Filmmusik von zwei Parchimer Theaterleuten komponieren und einspielen: Julian Diez arbeitet als Schauspieler im Theater, ist aber auch Pianist. Und Requisiteur Björn Pauli ist nebenbei ein erstaunlich guter Schlagzeuger. Es sind also auch an so einem Theater genügend Talente versammelt, um so einen Film auf allen Ebenen aus eigenen Kräften zu „bespielen“.

Parchim, das steht hier auch für Mecklenburg-Vorpommern insgesamt, eines der ärmeren Bundesländer. Im Vergleich mit den norddeutschen Filmförderinitiativen Moin (Schleswig Holstein und Hamburg) und Nordmedia (Bremen und Niedersachsen) sind die Fördersummen für Filmprojekte in Mecklenburg-Vorpommern (MV) gering, und so werden dort auch weniger Filme produziert.

Ein Indiz: Von den fünfzehn Filmen in der Programmschiene „ Gedreht in MV“ des Filmkunstfests Schwerin sind gleich vier schon älter als neun Jahre – und nicht alle überhaupt von der Filmförderung MV mitfinanziert worden.

Ganz ohne Fördermittel hat etwa Veronika Emily Pohl den Musik- und Reisefilm „Im Fluss der Musik – auf Floßtour mit der Band Schwester“ gemacht (zu sehen nun am 1., 3. und 5. Mai). Sie hat das Drehbuch geschrieben, selbst die Kamera geführt und das Material geschnitten. Der mithin lupenreine Au­to­rin­nen­film beginnt wiederum mit zwei jungen Frauen, die von Hamburg aus nach Osten aufbrechen. Hier sind es die Musikerinnen Meike und Auline, die zusammen die Band „Schwester“ gegründet haben und sich auf eine Konzerttour auf dem vorpommerschen Flüsschen Peene begeben. Dafür schippern sie eine Woche lang auf dem „Kulturfloß Eden Peene“ von einem Veranstaltungsort zum nächsten, bauen auf Wiesen und in Biergärten ihre kleine Anlage auf und singen ihre selbst komponierten Lieder, sich selbst auf Gitarre und Keyboard begleitend.

Schon weil sie auf dem kleinen Hausboot schlafen und arbeiten, wird das alles schnell zu einem Road- oder besser River-Movie, bei dem vor allem die Eindrücke im Mittelpunkt stehen. Da wird viel vom Lebensgefühl in der sommerlichen vorpommerschen Flusslandschaft spürbar, von Ruhe und Langsamkeit – und davon, wie diese immer hart an Lethargie grenzen. So hat das Duo es schwer, das Publikum für seine Kunst zu begeistern, und im Hut, der nach ihren Konzerten herumgeht, sind viele Münzen, wenig Papiergeld.

Wo die Menschen wegwollen

Geradezu verzweifelt wirkt dann die Kulturinitiative, die Paul Raatz in „Unendlicher Raum“ vorstellt. Sein Dokumentarfilm (30. April, 4. und 5. Mai) eröffnet mit dem teilweisen Abriss einer Kleinstadt: des vorpommerschen Loitz, das seit 1990 ein Drittel seiner Be­woh­ne­r:in­nen verloren hat. Als Rettungsaktion soll hier nun eine kulturelle Begegnungsstätte entstehen, eine „Zukunftswerkstatt“.

Annika und Rolando aus Berlin haben die Ausschreibung dafür gewonnen. Sie ist Kulturmanagerin, er Fotograf, eigentlich aus Venezuela, und sie haben ein Jahr Zeit, aus einem heruntergekommenen Haus einen schmucken Hoffnungsträger zu machen.

Raatz begleitet sie mit der Kamera – und dokumentiert auch eine Desillusionierung. Rolando muss im Supermarkt immer wieder seinen Rucksack durchsuchen lassen, auch zeigt sich, wie wenig durchdacht das ganze Projekt ist. So gibt es schier endlose Verhandlungen, aber kaum Fortschritte.

Diese Stadt stirbt

Auch der Versuch, im Sommer ein Festival zu organisieren, scheitert; die Bürgermeisterin hat neben warmen Worten nur wenig zu bieten Nebenbei zeigt der Film kleine Kulturszene am Ort: Ein Bastler baut Musikinstrumente zu mechanischen Kunstwerken um, ein Poeten hat Liebeslieder an seine Heimatkleinstadt komponiert, die er mit anrührendem Ernst vorträgt.

Doch diese Stadt stirbt, und als Annika und Rolando am Ende des Jahres das Haus sogar überschrieben bekommen, ist von ihrer Aufbruchstimmung kaum noch etwas übrig gelieben.

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