Filmfestspiele mit Monotonie und Lakonie: „Es ist schon wieder September“
Große Gegensätze beim Wettbewerb von Venedig. Auf der einen Seite ausgedehntes Leid, auf der anderen kurz, knapp und lakonisch: die Unendlichkeit.
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M anche Filmfestivaljahrgänge müssen ja damit kämpfen, dass Regisseure ihre Filme gern etwas länger haben. Was man niemandem vorwerfen kann. Superheldenspektakel sind dieser Tage kaum noch unter zweieinhalb Stunden zu haben, da sollte man Autorenfilmern keine Vorschriften machen, wie ausführlich sie ihre Geschichten erzählen. Zumal für digitale Bilder keine teuren Filmnegative mehr nötig sind. Die daraus resultierenden Dauern in einem Festivalprogramm zu stemmen, ist logistisch jedoch keine Kleinigkeit.
In Venedig sind die Beiträge im Wettbewerb dieses Jahr nicht übermäßig lang, in der Regel dauern sie zwei Stunden. Allein der tschechische Regisseur Václav Marhoul liegt mit „The Painted Bird“ deutlich über dem Durchschnitt. Knapp drei Stunden lang ist das Leiden eines jüdischen Jungen in Polen während des Holocausts zu sehen, wie er auf dem Land von einem Unterschlupf zum nächsten irrt und sich ein Abgrund menschlicher Schlechtigkeit nach dem anderen für ihn auftut.
Die Handlung – Vorlage ist der Roman „Der bemalte Vogel“ von Jerzy Kosiński – ist in Kapitel unterteilt, benannt nach den Personen, die den zunächst namenlosen Jungen aufnehmen, den der Kinderdarsteller Petr Kotlár mit erbarmungswürdig flehendem Blick und äußerst wortkarg gibt. Freundlich begegnet ihm auf seinem Weg kaum ein Mensch, und wer es doch tut, verfolgt meist eine Absicht, die klar zum Nachteil des Jungen ist.
In kontrastreichem Schwarz-Weiß gedreht, kontrastiert der Film zugleich seine idyllischen Landschaftsbilder mit zum Teil sehr explizit gehaltenen Darstellungen von menschlicher Niedertracht. Neben den vorwiegend tschechischen Darstellern sind als internationale Stars Udo Kier, Stellan Skarsgård und Harvey Keitel in kleineren Rollen zu erleben. Sie alle machen ihre Sache gut. Ob es aber notwendig war, diese bei aller Grausamkeit von der Dramaturgie her doch recht monotone Erzählung so detailliert auszudehnen, bleibt die Frage. Viele Zuschauer verließen denn auch recht bald die Pressevorführung.
Es geht auch kürzer
Man kann die Nöte des Menschen andererseits sehr wohl in aller Unbarmherzigkeit schildern, ohne sein Publikum im Stil von Marhoul zu foltern. Und das sogar kurz und knapp. Der schwedische Regisseur Roy Andersson hat genau das mit seinem, dem kürzesten Wettbewerbsfilm, getan. „Om det oändliga“ (About Endlessness) dauert 76 Minuten. Und weiß diese Zeit weit besser zu nutzen.
Wie in seinen Arbeiten zuvor pflegt Andersson seinen markanten Stil mit weiß geschminkten Darstellergesichtern, ausgeblichenen Farben und festen Kameraeinstellungen. In den Szenerien, die er zeigt, herrscht viel Stasis vor. Die meisten Menschen im Bild rühren sich nicht, andere sprechen, wenn sie sprechen, in der Regel wortkarg. Ein Paar etwa sitzt zu Beginn auf einer Parkbank, den Blick vom Publikum weg über das Panorama einer Stadt im Hintergrund gerichtet. Ein Gänseschwarm fliegt über sie hinweg. Die Frau sagt: „Es ist schon wieder September.“ Er erwidert: „Hm.“
So eine Lakonie muss man mögen. Andersson berührt in seinen grotesken Anordnungen allerdings stets existenzielle Dinge: Liebe, Todesangst, Neid, Verzweiflung. Freude gibt es mitunter ebenfalls, in kleinen Dosen. Das Komische dieser Miniaturen liegt weniger in dem, was passiert, als in dem, was nicht passiert. Und davon gibt es eine Menge. Wie den Mann, dessen Wagen liegen geblieben ist und der ratlos seinen Motor untersucht. Für den Zuschauer ereignet sich nicht viel. Für ihn hingegen, dessen Lauf abrupt unterbrochen ist, mehr als genug. Ein weiterer Höhepunkt.
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