Filmfestspiele Cannes 2024: Alte Meister und #MeToo
Konflikte könnten die 77. Filmfestspiele von Cannes überschatten. Es gibt einen Streikaufruf und ein Urteil gegen Regisseur Rasoulof.
Bisher wirken die 77. Filmfestspiele von Cannes noch vergleichsweise ruhig. Die Berlinale im Frühjahr hatte stark im Zeichen von propalästinensischem Aktivismus gestanden, und bei der Mostra del cinema di Venezia im vergangenen Herbst waren die Auswirkungen der Streiks in Hollywood zu spüren, mit der Folge, dass viele Schauspielstars fehlten.
In Cannes gab es lediglich vorab einen Streikaufruf, doch nicht wegen übergeordneter politischer Fragen, sondern wegen der Arbeitsbedingungen beim Filmfestival selbst. Dieses startet heute andererseits unter dem Eindruck des letzte Woche bekannt gewordenen Urteils gegen den iranischen Regisseur Mohammad Rasoulof. In Cannes ist er mit seinem neuen Film „The Seed of the Sacred Fig“ im Wettbewerb vertreten, in Teheran wurde er zu acht Jahren Haft und zu Peitschenhieben verurteilt.
Was das Festival dabei noch drohender überschattet, sind die Klagen wegen sexuellen Missbrauchs gegen die französischen Regisseure Jacques Doillon und Benoît Jacquot und vor allem gegen den Schauspieler Gérard Depardieu.
Wie die Zeitung Le Figaro berichtet, trifft das Festival schon Vorbereitungen für zu erwartende #MeToo-Proteste im großen Stil. So hat dessen Präsidentin Iris Knobloch eigens ein Team für das Krisenmanagement angeheuert. Die Rede ist von Dutzenden Regisseuren, Schauspielern und Produzenten, denen zusätzlich öffentliche Vorwürfe wegen sexualisierter Gewalt gemacht werden könnten.
Mögliche Reaktionen
Ob von den 22 Filmen im Wettbewerb oder aus dem übrigen offiziellen Programm kurzfristig einzelne Titel zurückgenommen werden, als mögliche Reaktion auf etwaige Vorwürfe, wie Knobloch in einem Interview andeutete, muss der Verlauf des Festivals zeigen. Vier der Kandidaten für die Goldene Palme sind immerhin von Regisseurinnen, mit „Bird“ ist etwa die britische Regisseurin Andrea Arnold vertreten.
Dagegen steht eine Vielzahl von männlichen Filmemachern, nicht wenige davon, wie in Cannes häufig der Fall, Altmeister ihres Fachs. Aus den USA kommt etwa Francis Ford Coppola mit seiner „Megalopolis“, auch Paul Schrader hat mit „Oh, Canada“ einen neuen Film anzubieten. Aus Kanada reist wiederum David Cronenberg an, um „The Shrouds“ vorzustellen.
Nicht dass die jüngeren Kollegen weniger interessant wären: Yorgos Lanthimos hat, kaum dass seine mit vier Oscars prämierte Komödie „Poor Things“ in die Kinos gekommen ist, mit „Kinds of Kindness“ gleich die nächste Arbeit fertig. Der iranische-dänische Regisseur Ali Abbasi liefert mit „The Apprentice“ ein Biopic über Donald Trump, dargestellt von Sebastian Stan, der chinesische Filmemacher Jia Zhang-ke zeigt seinen Spielfilm „Feng liu yi dai“, und aus Russland ist Kirill Serebrennikov mit „Limonov – The Ballad“ im Wettbewerb.
An französischen Regisseuren sind zum Beispiel Christophe Honoré („Marcello Mio“) und Michael Hazanavicius in den Wettbewerb geladen, Letzterer mit dem Animationsfilm „La plus précieuse des marchandises“. Den Eröffnungsfilm bestreitet der zuverlässig alberne Quentin Dupieux mit „Le deuxième acte“, der ebenso außer Konkurrenz gezeigt wird wie der Beitrag des australischen Filmemachers George Miller, dessen Mad-Max-Prequel „Furiosa: A Mad Max Saga“ in Cannes Premiere feiert.
Auf die Jury unter dem Vorsitz der Schauspielerin und Regisseurin Greta Gerwig kommen jedenfalls mit einiger Wahrscheinlichkeit interessante Tage zu. Und selbst wenn dieses Festival von Protesten überlagert werden sollte, dürften die meisten der Filme das dennoch überstehen. Es ist ihnen zu wünschen.
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