Filmfest in Venedig: Kreisförmig kommunizieren
Alieneier nehmen Kurs auf die Erde. Im Sci-Fi-Drama „Arrival“ zeigt Amy Adams, dass Small Talk mit Außerirdischen seine Zeit braucht.
Frühmorgens am Palazzo del Cinema, den roten Teppich passierend, sieht man an der Begrenzung junge Frauen kauern. Professionell ausgerüstet mit Isomatten trotzen sie der Härte des Asphalts und schützen sich mit Sonnenschirmen gegen die UV-Strahlung. Im Verlauf des Tages wird man deutlich ihre Stimmen hören, wenn die Stars hier ihre Runde drehen. Wer in der ersten Reihe sitzen will, muss früh aufstehen.
Im Kinosaal, der Sala Grande, bereitet sich hingegen die Welt auf die Begegnung mit Aliens vor. In Denis Villeneuves Wettbewerbsfilm „Arrival“ sind zwölf riesige Raumschiffe auf der Erde gelandet, von vorn gesehen eiförmig, von der Seite her eher an flache Brotlaibe erinnernd. Ihre Oberfläche bildet ein dunkles steinartiges Zeug, wohl nicht von ungefähr dem rätselhaften Monolithen ähnelnd, der in Stanley Kubricks „2001: An Space Odyssey“ auf die Erde gefallen war.
Die Raumschiffe in „Arrival“ sind jedoch bemannt, ihre Insassen können sprechen. Zumindest Laute von sich geben. Die soll Linguistin Louise Banks (Amy Adams) für das Militär übersetzen, damit die Verständigung mit den Außerirdischen möglich wird. Vor allem muss Banks die Frage beantworten, was die Aliens auf der Erde zu tun gedenken. Da es mit der mündlichen Kommunikation hapert – die Mitteilungen der Aliens gleichen elektronisch bearbeiteten Tierlauten –, hat Banks den rettenden Einfall: Schrift muss her. Und das klappt dann nach langem Bemühen ganz leidlich.
„Arrival“ verhandelt sprachtheoretische Überlegungen wie die, dass Sprache nötig ist, um so komplexe Dinge wie Wissenschaft zu entwickeln. Und wartet mit einer grafisch reizvollen kreisförmigen Alien-Kalligrafie auf, die die Heptapoden mit ihren Tentakeln tintenfischgleich in ihren flüssigen Lebensraum spritzen, wo er sich langsam auflöst. Wie expressiv verzierte Ensō-Kreise wirkt diese „nichtlineare Orthografie“, die immer wieder Interpretationsschwierigkeiten aufwirft. Schöne Ideen und Bilder, doch leicht schnulzig inszeniert.
Er stellt die Fragen, sie redet über Sex
Wie man den Wettbewerbsbeitrag von Wim Wenders interpretieren soll, ist weniger leicht zu entscheiden. „Les Beaux Jours d’Aranjuez“ ist die Verfilmung von Peter Handkes Sommerdialog „Die schönen Tage von Aranjuez“, den dieser für Wenders’ Film ins Französische übertragen hat.
Die Filmfestspiele von Venedig finden alle Jahre von Ende August bis Anfang September auf dem Lido in Venedig statt, dieses Jahr zum 73ten Mal. Das Filmfestival umfasst die vier Kategorien „Wettbewerb“, „Außer Konkurrenz“, „Horizonte“ und „Venice Classics“.
Ein Mann und eine Frau sitzen an einem Sommertag abgeschieden auf einer Terrasse und sprechen über Liebe und Sex. Vielmehr spricht die Frau, gespielt von Sophie Semin. Der Mann – ein dem jungen Peter Handke nachempfundener Reda Kateb – stellt Fragen. Er unterbricht bloß gelegentlich, um von vorbeifliegenden Vögeln und seinen frei flottierenden Assoziationen zu sprechen.
Das Ganze ist in 3-D gedreht, und bis auf die ersten Bilder mit menschenleeren Straßen in Paris, mit deren Zentralperspektive die Kamera spielt, fragt man sich bald, wozu man eigentlich diese unangenehm schweren Plastikbrillen aufsetzen muss. Einen ästhetischen Gewinn sucht man eher vergebens. Auch bei den Dialogen fehlt es Wenders an einer inszenatorischen Idee, die über das sanfte Umkreisen des mutmaßlichen Paars hinausginge. So ist alles wohlkomponiert, bis in die Farben der Kostüme, und dennoch sehr schwer zu ertragen. Am Ende kaum Applaus, dafür vernehmliche Buhrufe.
Ein sterbenslangweiliger Kostümfilm
Auf den Schreck ein bisschen VR Cinema, denkt man reflexartig. Die „Virtual Reality“ schickt sich an, das nächste große Ding im Kino zu werden. Nicht bloß in 3-D, sondern in eingekapselten Rundumpanoramen soll man mittels Datenbrille und Kopfhörer die nächste Immersionsstufe des audiovisuellen Erlebens erreichen. In Venedig gibt es einen „Vorführraum“ mit 30 Drehsesseln, auf denen die Zuschauer jeden Winkel dieser simulierten Welten durch Bewegungen des Körpers in den Blick nehmen können.
Am Donnerstagnachmittag gibt es dann auch gleich eine Weltpremiere zu bestaunen: Eine Handvoll Szenen aus „Jesus VR – The Story of Christ“, dem ersten VR-Spielfilm, werden dargeboten. Was als Erstes auffällt, ist die grobe Pixelung des Bilds. Man meint, aus nächster Nähe auf ein schlechtes Fernsehbild zu starren. Der Fokus verschwimmt beim Drehen des Kopfs, und so richtig eintauchen kann man nicht in diese 360-Grad-Projektion. Auch die Szenen wecken keine großen Hoffnungen auf den kompletten Film.
Es scheint sich um einen sterbenslangweiligen Kostümfilm zu handeln, in dem die meisten Darsteller wie Statisten in der Gegend herumstehen, damit es überall was zu sehen gibt. So wird sich mit aktuellen Mitteln ein Bild vom „Herrn“ gemacht. Man könnte darin eine indirekte Demonstration der Feuerbach’schen Projektionstheorie sehen. In einem sehr platten Sinn verstanden: Gott erscheint – in surround view.
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