Filmfest Oldenburg: Kleine ungewöhnliche Dramen
Ein ungesühntes Verbrechen, ein intensiver Erbstreit und eine unsentimentale Liebesgeschichte: Das Filmfest Oldenburg zeigt oft seltsame Filme.
Die Zeiten, in denen in Irland aufwendige internationale Filme wie „Michael Collins“, „In the Name of the Father“, „The Commitments“ oder „My Left Foot“ produziert wurden, sind längst vorbei. Stattdessen hat sich dort eine starke unabhängige Filmszene entwickelt, die sich auf kleine, ungewöhnliche Dramen konzentriert.
Und solche seltsamen, mit wenig Geld produzierten Filme gehören zum Profil des Filmfest Oldenburg, auf dem dann auch im Jahr 2022 mit „The Black Gueleph“ ein irischer Film, der von Dantes „Inferno“ inspiriert war, den German Independent Award für den besten Film gewann.
In diesem Jahr gibt es im Programm des Filmfests einen Fokus mit drei Langfilmen aus Irland, von denen zwei erst vor ein paar Wochen bei Festivals in New York und Galway ihre Uraufführung hatten. Der dritte wird in Oldenburg seine Weltpremiere feiern.
In allen drei Filmen spielt der irische Schauspieler John Connors mit, der auch schon in „The Back Gueleph“ in einer Nebenrolle zu sehen war. Connors ist nicht etwa der Lars Eidinger des irischen Kinos und eine Hauptrolle hat er nur in einem von diesen Filmen. Aber es fällt schon auf, dass er zurzeit im irischen Film allgegenwärtig zu sein scheint.
In „Re-Creation“ spielt er einen von zwölf Geschworenen, und wenn das an einen amerikanischen Filmklassiker erinnert, ist dies kein Zufall. Denn dramaturgisch ist dieses Justizdrama sehr an Sidney Lumets „Die zwölf Geschworenen“ aus dem Jahr 1957 angelehnt.
Auch hier beraten die Geschworenen darüber, ob ein des Mordes Verdächtiger schuldig gesprochen wird und auch hier ist es zuerst nur einer, der für nicht schuldig plädiert und sich gegen die anderen durchsetzen muss. Diese Rolle, die damals Henry Fonda spielte, hat hier die luxemburgisch-deutsche Schauspielerin Vicky Krieps.
Doch in „Re-Creation“ wird dieser dramaturgische Rahmen genutzt, um von einem tatsächlich begangenen Verbrechen zu erzählen, das nie aufgeklärt wurde und einer der rätselhaftesten und umstrittensten Kriminalfälle von Irland ist.
Im Jahr 1996 wurde im irischen Cork die französische Filmproduzentin Sophie Toscan Du Plantier brutal vor ihrem Ferienhaus erschlagen. Der Hauptverdächtige war der englische Journalist Ian Bailey, der in der Nähe des Tatorts gesehen wurde und wiederholt die Tat gestanden hatte.
Doch in Irland kam es nie zu einem Prozess, weil die Beweise nicht ausreichten. Als Bailey schließlich in Frankreich in Abwesenheit zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, weigerte sich die irische Justiz, ihn auszuweisen.
Im Film wird ihm nun der faire Prozess gemacht, den es in der Realität nicht gab. Regie führte der Altmeister des irischen Kinos Jim Sheridan („My Left Foot“, „In the Name of the Father“). Es gelingt ihm, über den Umweg des Justizdramas die sehr komplizierte Beweislage des immer noch ungelösten Falls spannend und filmisch überzeugend zu präsentieren.
Abgekupfert und trotzdem gut
Vergleichsweise heiter geht es dagegen in dem Familiendrama „Horseshoe“ zu, dessen Dramaturgie ebenfalls an alte Vorbilder erinnert. Ein Familienpatriarch stirbt und seine Kinder streiten sich um sein Erbe. Natürlich hat auch hier der Verstorbene ein besonders perfides Testament hinterlassen und alle Familiengeheimnisse werden schließlich hochdramatisch offenbart. Als Zugabe erscheint der Tote dann auch noch seinen Kindern als Gespenst.
Die Geschichte ist so offensichtlich abgekupfert und konstruiert, dass der Film ein lächerliches Ärgernis sein müsste. Doch es gelingt den beiden Regisseuren Edwin Mullane und Adam O’Keeffe, erstaunlich intensiv und authentisch zu erzählen. Ein Grund dafür sind die durchweg glänzend besetzten und aufgelegten Schauspieler*innen, unter denen John Connors als der von allen gefürchtete große Bruder den bösen Buhmann gibt.
In „Crazy Love“, dessen Weltpremiere am Samstag im Casablanca-Kino stattfindet, spielt John Connors schließlich den Hauptprotagonisten, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird. Er ist ein suizidaler Psychotiker, der sich freiwillig in eine psychiatrische Klinik einweisen lässt und sich dort in eine schizophrene Patientin (Jade Jordan) verliebt.
Die wahre Liebe ist in den Therapien der behandelnden Ärzt*innen nicht vorgesehen, und so versuchen sie die beiden mit Zwangsmaßnamen und Psychopharmaka zu trennen. Die Gruppe der anderen Patient*innen wirken manchmal wie eine Freakshow und wenn sie mit ihren imaginären Freunden reden oder ein harmloses Bingospiel im Chaos versinken lassen, segelt der Film hart an der Grenze zur Karikatur.
Doch es gibt auch authentisch wirkende und gut geschriebene Szenen wie etwa eine Konferenz der Ärzt*innen mit dem Besitzer der Klinik, bei der gnadenlos die Gesundheit der Patienten dagegen aufgerechnet wird, ob ihre Behandlungen profitabel sind.
Dies ist die erste Regiearbeit des Theaterregisseurs Jason Byrne und des Kameramanns Kevin Treacy und so verwundert es nicht, wenn die Stärken des Films die Leistungen der Schauspieler*innen und die Kameraarbeit sind. Die düsteren Stimmungsbilder geben dem Film eine beklemmende klaustrophobische Grundstimmung. Und die Liebesgeschichte wird nie sentimental verklärt und dadurch bekommt sie ihre Sprengkraft.
Filmfest Oldenburg: Mi, 10. 9., bis So, 14. 9., filmfest-oldenburg.de
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