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Filmemacherin über die WM„Fifa hat mir die Freude genommen“

Ein YouTube-Video machte Carla Toledo Dauden letztes Jahr zum Sprachrohr der brasilianischen Protestbewegung. Wie sieht ihre persönliche WM-Bilanz aus?

Fußballfest? Nicht für Carla Toledo Dauden. Bild: Screenshot: YouTube
Marco Wedig
Interview von Marco Wedig

taz: Frau Dauden, zu Beginn des letztjährigen Confederations Cups haben Sie in einer Videobotschaft verkündet, dass Sie die Fußball-WM boykottieren würden. Was gab den Impuls, dieses Video zu drehen?

Carla Toledo Dauden: Ursprünglich sollte es nur darum gehen, sich mit US-amerikanischen Vorurteilen gegenüber Brasilien auseinanderzusetzen. Ich habe in den Vereinigten Staaten Film studiert. Wann immer es um meine Herkunft ging, fingen die Leute an, über die WM zu reden. Also fing ich an, mich mit der damals noch bevorstehenden Weltmeisterschaft zu beschäftigen. Je mehr ich darüber las, umso wütender wurde ich.

Ich habe nie bezweifelt, dass wir's nicht können. Jedes Jahr schaffen wir es, den Karneval über die Bühne zu bringen. Was die Organisation angeht, hatte ich also keine Bedenken. Ich dachte nur, es sei eine weitere Ausrede für mehr Korruption. Dass das Video dann solche Runden ziehen würde, damit habe ich natürlich nicht gerechnet. Ich war davon ausgegangen, dass es ein paar hundert Leute anklicken würden, dann wurden es über vier Millionen.

Die Weltmeisterschaft steht nun kurz vor dem Finale. Vielerorts wird das Turnier als voller Erfolg gefeiert. Wie ist Ihr Fazit? Hat sich Ihr letztes Jahr gezeichnetes Bild von Zwangsräumungen und Polizeigewalt bestätigt?

Meine Meinung hat sich nicht geändert. Zwar höre ich von allen Seiten, dass es eine großartige WM mit mitreißenden Spielen war. Ich habe allerdings kein Spiel gesehen und bin viel gereist: Rio, Fortaleza, São Paulo, Salvador. Dort habe ich eine Dokumentation über die WM gedreht. Das, was außerhalb der Stadien passiert ist, hat mich in meiner Meinung bestärkt.

Was genau meinen Sie?

Im Interview2Tnews: 

24, wurde in São Paulo geboren, zog mit 18 nach Kalifornien, um Film zu studieren. Lebt und arbeitet jetzt als Regisseurin in Brasilien und den Vereinigten Staaten.

Die Polizei ging gewalttätiger denn je gegen Demonstranten vor. Die Fifa zahlt keine Steuern. An der Privatisierung des Maracanã wurde trotz Protesten festgehalten.

In einem zweiten Video forderten Sie im letzten Sommer, dass sich genau diese eben erwähnten Punkte ändern müssten. Hat sich denn nichts getan?

Doch, es gab eine große Kampagne gegen Kinderprostitution. Die Straßenverkäufer wehrten sich zum Teil erfolgreich gegen die Monopolisierung der Verkaufsstände in Stadionnähe. Und in Fortaleza konnte eine Gemeinde erfolgreich die Zwangsräumung verhindern. Das war jedoch eine Ausnahme.

Räumungen gab es noch etliche. Wenn es irgendwo Verbesserung gab, dann deshalb, weil die Bewegungen dafür gesorgt haben, nicht die Regierung. Die Regierung hat es nicht geschafft, eine Plattform für einen Dialog mit den Comitês über deren Reformvorschläge einzurichten.

In der deutschen Wahrnehmung trat das ein, womit viele gerechnet hatten: Mit dem Beginn des Turniers verebbten die Proteste. Stimmt diese Wahrnehmung mit Ihrer überein? Und wenn ja, wie erklären Sie den Rückgang der Protestbewegung?

Es stimmt: Die Proteste nahmen ab – aber nur auf der Straße. Sie verlagerten sich in Diskussionsrunden und private Partys. Man suchte nach anderen Aktionsformen, wie z.B. Protestvideos. Grund dafür war die extreme Gewalt, mit der die brasilianische Polizei gegen Demonstranten vorging.

Viele haben Angst. Auch ich. Erst am Samstagmorgen sollen in Rio de Janeiro 60 Aktivisten ohne vorliegende Beweise aufs Polizeirevier gebracht worden sein. Das sind für mich Anzeichen einer Diktatur. In einem brasilianischen Protestsong heißt es: „Frieden ohne eine Stimme ist kein Frieden, sondern Angst.“

Wie verhielten sich die brasilianischen Medien?

Im Fernsehen drehte sich alles um den Rücken von Neymar. Globo verhielt sich wie ein Cheerleader. Es ging immer nur darum, wie toll diese WM ist. Dass die beiden Demonstranten Fábio Hideki und Rafael Marques unter fadenscheinigen Gründen gefangen gehalten werden, findet hier keine Erwähnung. Auch das ist wohl ein Grund dafür, warum es scheint, dass die Proteste abgenommen haben. Die Medien sind nicht präsent.

[Anm. d. Red.: Laut Human Rights Watch wurden Fábio Hideki Harano, 26, und Rafael Marques Lusvarghi, 29, während größtenteils friedlicher Proteste in São Paulo verhaftet. Harano soll selbstgebauten Sprengstoff bei sich gehabt haben und Lusvarghi eine „Flasche Joghurt, die stark nach Gas roch“, zitiert die NGO einen Polizeibericht. Zeugenaussagen und eine Videoaufnahme würden diese Anschuldigen nicht stützen. Die Direktorin von Human Rights Watch Brasilien spricht sich aufgrund mangelnder Beweise für eine Freilassung der immer noch gefangen Gehaltenen aus. Laut Medienberichten droht Harano eine 13-jährige Gefängnisstrafe, Lusvarghi soll mit fünf Jahren rechnen.]

Die Bilder von den brasilianischen Fanmeilen vermittelten den TV-Zuschauern den Eindruck einer großen, ausgelassenen, internationalen Party. Haben Sie dies ebenso empfunden?

Ja, ich habe viele gut gelaunte, feiernde Menschen getroffen, was schön war. Ich bin nur traurig, dass die Fifa und die Regierung mir diese Freude genommen haben.

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