Filmemacher Perel auf der Berlinale: Bildbefragung im Morgengrauen
Unternehmerische Verantwortung: Ein Film zeigt Industrie, Verbrechen und argentinische Militärdiktatur auf (1976 bis 1983) (Forum).
In Deutschland geriet die Firma Mercedes-Benz 1999 für einen Moment in die Schlagzeilen. Eine in Nürnberg eingereichte Klage wegen Beihilfe zum Mord beschuldigte die Werksleitung des Automobilkonzerns in Buenos Aires der Komplizenschaft bei der Verschleppung und Ermordung von Betriebsräten während der argentinischen Militärdiktatur. Die Klage gegen das Stuttgarter Unternehmen wurde 2001 eingestellt.
Vierzehn Jahre später veröffentlichte das argentinische Ministerium für Justiz und Menschenrechte den umfassenden Bericht „Responsabilidad empresarial en delitos lesa humanidad“ (Dt.: Unternehmerische Verantwortung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit) mit Belegen für die aktive Beteiligung von 25 Firmen an Repressionen des Militärs zwischen 1976 und 1983 – unter ihnen auch das Mercedes-Benz-Werk in González Catán.
Den Inhalt dieses ungeheuren Dokuments verwendete der 1976 geborene argentinische Filmemacher Jonathan Perel nun als Grundlage für seinen gleichnamigen Film. Schon in „Toponimia“ (2015) über Modellsiedlungen in Tucúman oder „El Predio“ (2010) über das ehemalige Folterzentrum „ESMA“ hatte Perel sich mit der jüngsten argentinischen Geschichte und der Konstruktion von Erinnerung auseinandergesetzt.
Ähnlich systematisch konzipierte er nun auch sein jüngstes Projekt. Für „Responsabilidad empresarial“ reiste Perel alleine bis zu den Werkstoren der quer übers Land verteilten 25 Firmen, auch zum Sitz des Automobilkonzerns Fiat. Im irreal erscheinenden Licht der Morgendämmerung filmte er in einiger Entfernung aus dem parkenden Auto jeweils das Firmengelände in einer einzelnen Einstellung als Totale. Menschen sind kaum zu sehen, nur vereinzelt vorbeifahrende Fahrzeuge.
Durch die aus dem Off gelesenen Auszüge aus dem Report des Ministeriums über die begangenen Verbrechen und die Vorteilsnahme der Unternehmen in den Jahren der Diktatur laden sich die nüchtern gehaltenen Einstellungen mit erdrückender Bedeutung auf. Auch wenn dieses Zusammenspiel von Ton- und Bildebenen mit Untertiteln nur noch mit Einschränkung funktioniert, ist Perels reduziertes Experiment trotzdem ein gelungener Versuch, das Unrecht, für das es keine Bilder geben kann, filmisch sichtbar zu machen.
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