Film zum Werk Anselm Kiefers: In Tiefe schwelgen
In ihrem Film "Over Your Cities Grass Will Grow" besucht Sophie Fiennes den Künstler Anselm Kiefer in Südfrankreich und verfällt seinem Wahnwitz.
Dieser Film stinkt nach Geld. Er handelt eben von Kunst, von sehr erfolgreicher, zeitgenössischer Kunst. Konkret dreht er sich um das Werk Anselm Kiefers. "Over Your Cities Grass Will Grow" zeigt dabei, wenn auch völlig unbeabsichtigt, dass das Zusammentreffen von sehr viel Geld und sehr viel Fantasie nicht unbedingt großartige Folgen zeitigt.
Anselm Kiefer gehört zu den bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Künstlern der Gegenwart. Bekannt wurde der 1945 geborene Star durch seine Bleiskulpturen, Flugzeuge, Bücher und ganze Bibliotheken und seine Materialbilder, bei denen er dick aufgetragene Farbschichten mit Feuer oder Äxten bearbeitete und sie mit Glas, Holz und Pflanzenteilen kombinierte.
Exemplarisch steht dafür das 1981 entstandene Bild "Margarethe", mit Ölfarbe und Stroh, mit dem er Bezug auf Paul Celans "Todesfuge" ("dein goldenes Haar Margarethe") nahm.
Die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit ist denn auch ein wesentliches Moment seines Werks. Gleich in seiner ersten Einzelausstellung 1968 in Karlsruhe sorgte er mit "Besetzungen", einer Serie von Bildern, die ihn in verschiedenen Ländern zeigte, wie er mit dem Hitlergruß salutierte, für Kontroversen. Bei seinen Skulpturen, die neben Gemälden, Holzschnitten, übermalten Fotos und Büchern entstehen, setzt Kiefer neben Blei zuletzt vermehrt Beton ein.
Materialschlachten
Das ist nun in der Dokumentation von Sophie Fiennes, der Schwester der Schauspieler Ralph und Joseph Fiennes, gut zu beobachten. Sophie Fiennes hat Anselm Kiefer in Südfrankreich besucht, bevor er 2008 die aufgelassene Seidenfabrik "La Ribaute" in der Nähe der Gemeinde Barjac, die er 1993 gekauft hatte, wieder verließ, um sich in Paris niederzulassen.
Am Ende ihres Films sehen wir, wie mit Hilfe eines schweren Krans ein Betonturm aus übereinandergestapelten Containerabgüssen nach dem anderen auf der Brache des 35 Hektar großen Geländes emporwächst.
Ja, diesem Bild der krummen und schiefen Betonarchitektur inmitten wild wuchernden Heidekrauts ist seine pathetische Wucht nicht abzusprechen. Doch leider steht dieses Stillleben einer bewusst vergeblichen, heroischen Anstrengung massiv unter Kitschverdacht - so wie die ganze Anlage mit ihren unterirdischen Schächten, Tunneln und Stelenräumen.
Endlos fährt die Kamera durch diese Unterwelt, in der die Bagger graben und die Kräne wuchten, um uns - begleitet von entsetzlich schriller Elektronikmusik - zu sagen, wie wahnwitzig, grandios und tiefsinnig Anselm Kiefers Unternehmen ist.
Wahnwitzig ja, grandios ja, aber tiefgründig - nein. Nur tief grabend, eine enorme Materialschlacht, die vor allem an das viele Geld denken lässt, das hier verbuddelt und in Dieselmotoren verfeuert wird. Immerhin, das muss man ihm zugutehalten, Anselm Kiefer nimmt dieses Geld gefährlichen Leuten ab. Leuten, die uns in Haftung nehmen für ihre gewagten Spekulationsgeschäfte, für deren Risiko aber nicht sie, sondern bekanntlich wir aufkommen.
Leuten, die etwa mit Wasser spekulieren. Schließlich ist der globale Wassermarkt durch überdurchschnittliches Wachstum gekennzeichnet und damit auch überdurchschnittliche Renditen, wie Analysten der Investmentboutique SAM bekannt geben.
Das Geld gefährlicher Leute
Für Anselm Kiefer ist Wasser glücklicherweise allein grundlegendes Element im alchemistischen Schaffensprozess. Das Geld der gefährlichen Leute landet also bei einer durch und durch harmlosen Person. "Wir stammen ja aus dem Wasser, alle Einzeller haben sich erstmals im Wasser entwickelt", sagt Kiefer noch immer leicht schwäbelnd dem Autoren Klaus Dermutz, als Sophie Fiennes sich endlich dem Atelier und der Bibliothek des Künstlers zuwendet.
Und: "Wünschen an sich kommt aus dem Meer." Ob solcher Worte staunt dann Dermutz ehrfürchtig. Man muss ihr Gespräch gesehen haben. Es ist ein selten großartiges Zeugnis kompletter Idiotie. Man würde es jederzeit für eine rundweg gelungene Satire auf das Bedeutungsgehubere des Kunstbetriebs halten, wüsste man es nicht besser.
Denn Sophie Fiennes ist es todernst. Mit ihrer ruhigen Kamera und deren langsamen, zeitraubenden, schwelgerischen Fahrten. Mit ihrem, auf all den vielen Festivals, auf denen der Film gezeigt wurde, gerne als "einfühlsam" gelobten filmischen Gestus, der tatsächlich nur illustrativ nachvollzieht, was ihr die Situation vorgibt.
Natürlich reizt es, einen in der Tiefe sich immer mehr verengenden Schacht aus Betoncontainern, wie ihn Kiefer in die Erde treibt, in all seiner monumentalen Absurdität noch ein bisschen gewaltiger und fremdartiger zu filmen. Aber hätten nicht die dekorativen Pflanzenbüschel und schmückenden Bleiblumen, mit denen Kiefer alle naselang die harte Front der Betoncontainer aufhübscht, endlich doch ihr Misstrauen hervorrufen müssen?
Eines allerdings hat man zuvor so eindeutig noch nicht gesehen: wie sehr Anselm Kiefers künstlerisches Schaffen vom Horror Vacui angetrieben ist. Man sieht, wie ein großformatiges Waldstück entsteht; schwarz, weiß und streng stehen die Baumstämme im Bild. Das hat seinen Reiz.
Aber dann müssen unten an der Leinwand noch ein paar Bleikästen aufgebracht werden. Oder es muss in ein endloses, dunkles, nur von Sternenpunkten erhelltes Weltall, ein Modellschiff aus Blei gepappt werden. Das ist dann, wen wunderts, ein "Raumschiff". Und natürlich heller Kitsch. Aber wie der Film sagt, auch darüber wird Gras wachsen.
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