Film und Album Courtney Barnett: Sie muss gar nichts

Ein neues Album der australischen Rumpelrockerin Courtney Barnett mit abstrakten Sounds und einer neuen Richtung aus ihrem Doku-Film.

Pressefoto der Musikerin Courtney Barnett

Klangliches Antidot zur erhitzten Gegenwart: Musikerin Courtney Barnett Foto: Pooneh Ghana

Gelegenheitsfans von Courtney Barnett werden möglicherweise enttäuscht sein von ihrem neuen Album „End Of The Day“. Oder verblüfft – sofern sie sich jener Veröffentlichung der Australierin erwartungsfrei, mit offenem Herzen nähern. „End Of The Day“ ist ein stimmungsvolles, durchaus hörenswertes Album. Nur ist es eben weit entfernt davon, von dem Sound, für den die Singer-Songwriterin bisher stand: ihre sehr eigene Mischung aus Folk, raubatzigem Rock und lakonischer Beobachtung.

Die-Hard-Fans des 35-jährigen Indie-Darlings hingegen sollten die instrumentalen, am­bienthaften Skizzen, die darauf zu finden sind, kaum überraschen. Schließlich haben sie vermutlich bereits den Dokumentarfilm „Anonymous Club“ (2022) gesehen. Untermalt ist er genau mit jenen abstrakten Sounds von Courtney Barnett, die zum Fundament ihres neuen Album wurden.

Für den Regisseur Danny Cohen, Wegbegleiter und Freund der Musikerin, führte Barnett mit Diktafon über drei Jahre eine Art Audio-Tagebuch. Und lieferte damit die Grundlage für diesen bisweilen fast schmerzhaft intimen Film, der nicht nur von einer Schreibblockade und ihrer Überwindung erzählt, sondern auch von tiefgreifender Entfremdung.

Teil einer scripted performance

Courtney Barnett: „End Of The Day“ (Milk! Mom+Pop/Redeye/Bertus)

„Anonymus Club“, Regie: Danny Cohen, 86 Minuten (Australien 2021), www.anonymusclubfilm. com/watch, auch auf DVD erhältlich

An einer Stelle bringt die australische Künstlerin ihr Unbehagen so auf den Punkt: „Als wäre ich ein Teil einer scripted performance – darüber, was wir glauben auf der Bühne sehen zu müssen. Es fühlt sich wirklich sinnlos an.“

Von klassischen Rockumentaries unterscheidet sich der Film, unterteilt in Kapitel mit Titeln wie „Idling Insignifacntly“ oder „I Just Can’t Yell Anymore“, nicht zuletzt dadurch, dass Barnetts Musikschaffen selten im Mittelpunkt steht – auf der Tonspur finden sich kaum Songs.

Die sporadischen Live-Momente unterstreichen eher ihren loner-haften Alltag, als dass sie Barnetts Œuvre ehrfürchtig feiern. Stattdessen sind die verwaschenen 16mm-Bilder, die Barnett auf Tour, beim Zeichnen, in der Werkstatt eines Gitarrenbauers oder im Gespräch mit Fans zeigen, unterlegt mit warmen Gitarrenklängen und sanfter Perkussion.

Darin steckt ein Sich-Freimachen von Erwartungen und Projektionen

Mal wirkt das wie die Untermalung eines elegischen Roadmovies (was die Doku oft auch ist), dann wieder klingt es nach Minimal Music. So oder so: Zu diesen meditativen Klängen guckt man gerne in den Himmel oder aus dem Fenster – ein klangliches Antidot zur erhitzten Gegenwart. Die Absicht hinter den Kompositionen, an denen Barnett mit Stella Mozgawa, Schlagzeugerin bei der US-Postrock-Band Warpaint, arbeitet, scheint es den Hö­re­r:in­nen offenzulassen, was sie beim Hören fühlen.

Gute Atmosphäre

Und offenbar fühlte sich auch Barnett mit der Atmosphäre so gut, dass sie den Soundtrack weiterbearbeitete. Sie fügte die Instrumentals neu zusammen und gab ihnen elf Titel – auch wenn es de facto ein einziger mäandernder Track ist, luftig und wehmütig. Darin steckt ein Sichfreimachen von Erwartungen, Projektionen und davon, sich immerzu an etwas abarbeiten zu müssen.

Der Film – ihr Audio-Tagebuch führte Barnett von 2018 bis 2021 – endet nach krisenhaften Zeiten dann mit verhaltenem Optimismus. Der schlug sich auch auf ihrem bis dato letzten Album „Things Take Time, Take Time“ (2021) nieder, das in besagter Zeit entstand, ebenfalls in Zusammenarbeit mit Mozgawa.

Das Songwriting war ruhiger als Barnetts Debütalbum „Sometimes I Sit and Think and Sometimes I Just Sit“ (2015), weniger wütend als der Nachfolger „Tell Me How You Really Feel“ (2018). Zudem trug eine Solotour in kleinen Clubs dazu bei, dass sich auch Performen wieder besser anfühlte, weniger „scripted“. In einer der wenigen Passagen, in denen man sie im Film singen hört, ist es ein herzergreifendes Cover von Hank Williams’ Countryklassiker „I’m So Lonesome I Could Cry“ – was die Doku auf den Punkt bringt.

„My heart is empty, my head is empty, the page is empty,“ sagt Barnett früh in dem Film. Die Zusammenarbeit mit ihrer Freundin Stella Mozgawa zeigte offenbar einen Ausweg aus diesem Dilemma. Und so hört man den entstandenen Skizzen gerne zu – auch wenn man Barnetts trockenhumorige Songtexte vermisst.

Smartness und Selbstreflexion

Schließlich steckte darin immer Smartness und Selbstreflexion, fern von der in Indie-Gefilden inflationär verbreiteten Gefühligkeit; ebenso Alltagsbeobachtungen, geerdet von lakonischer Ernsthaftigkeit. Wohin wird sich die öffentlichkeitsscheue Künstlerin danach nun bewegen?

In einer Hinsicht ist „End Of The Day“ auf jeden Fall ein Schlusspunkt. Nach über 60 Veröffentlichungen ist es das finale Album ihres Labels Milk! Records. Das hatte die australische Künstlerin vor 2012 gegründet, um ihre Debüt-EP herauszubringen. In den folgenden Jahren wurde die Plattenfirma, die Barnett bald zusammen mit der Musikerin Jen Cloher führte, ihrer damaligen Lebenspartnerin, zum Dreh- und Angelpunkt der Melbourner Indie-Szene. Vielleicht kündigt ihr Ausflug in die Abstraktion zugleich eine musikalische Neukalibrierung an.

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