Film über Zweifel an der Demokratie: Immerhin, wir reden noch
Die Autoren des ARD-Magazins „Panorama“ erzählen vom Making-of ihrer Dokumentation „Wozu Demokratie? Aufruhr in Minideutschland“.
Nach dem Interview bittet uns die Frau in ihre Waschküche, verteilt Zigaretten, wir stehen zu dritt qualmend auf zwei Quadratmetern und machen Smalltalk. In der Küche nebenan läuft der Filterkaffee durch. Und dann mit verträumtem Blick den Satz gesagt: „Eigentlich braucht es keine Wahlen. Wenn wir einen König oder einen Kaiser hätten, der alles entscheiden könnte.“ Uns wurde ganz schwindelig.
Wir sind in Haßloch, dem vielleicht durchschnittlichsten Ort Deutschland. Wie sind wir eigentlich hierhergekommen? Alles begann damit, dass ein Kollege vor fast zwei Jahren aus dem sächsischen Sebnitz zurückkam und von Demonstranten berichtete, die sich einen „kompletten Umschwung“ wünschen. Von Menschen, die auf Wahlen pfeifen und kein Vertrauen mehr in den Staat haben. Laut einer Studie der Uni Leipzig zweifelt mehr als die Hälfte der Deutschen daran, dass die repräsentative Demokratie zurzeit funktioniert. 20 Prozent wünschen sich eine einzige Partei, 11 Prozent wollen sogar einen starken Führer.
Natürlich gibt es viele Gründe dafür, unzufrieden zu sein. Zwielichtige Rüstungs- und Bankendeals, soziale Ungleichheit, uninformierte Politiker. Unsere Sendung „Panorama“ hat es sich ja sogar zur Aufgabe gemacht, diese Missstände aufzudecken. Aber nie wären wir auf die Idee gekommen, gleich das ganze System anzuzweifeln. Warum ist aus gesunder Skepsis den Mächtigen gegenüber eine Verachtung der gesamten Politik geworden?
Das wollen wir die Zweifler selbst fragen. Doch dazu müssen wir sie erst mal finden. Wir lesen von Haßloch, einem Ort in Rheinland-Pfalz, der als deutscher Durchschnitt gilt. Die soziale Struktur ist der gesamtdeutschen sehr ähnlich, etwa hinsichtlich der Haushaltsgröße und der Kaufkraft. Lebensmittelkonzerne testen hier ihre neuen Produkte. Haßloch geht es gut, es gibt keine Brennpunktviertel und nur 4 Prozent Arbeitslosigkeit. Doch ausgerechnet hier haben bei der vergangenen Landtagswahl 18,8 Prozent die AfD gewählt, die Partei der Unzufriedenen und Systemkritiker.
Haßloch nennt sich selbst Dorf
Wir fahren hin. Treffen Gewerkschafter, Schülervertreter, Parteivorsitzende, den Bürgermeister, gehen zum Jugendzentrum, zur Haßlocher Tafel, auf den Wochenmarkt. Wir finden viele Unzufriedene und beschließen, mit der Kamera wiederzukommen. Die Industrie testet hier Erdbeerjoghurt, wir das Vertrauen in die Demokratie.
Haßloch ist nicht eins zu eins repräsentativ für Deutschland, wo es Großstädte und strukturschwache Gebiete gibt. Dennoch ist es ein typisch deutscher Ort: Kirche, Marktplatz, McDonald’s-Filiale. Haßloch nennt sich selbst Dorf, trotz der mehr als 20.000 Einwohner – wegen der ländlichen Atmosphäre. Mehr als die Hälfte der Deutschen lebt in solch kleinen bis mittelgroßen Orten. Warum wenden sich die Menschen ausgerechnet hier von den Volksparteien ab? Und: Sind das nur die AfD-Wähler?
Was ist taz.meinland? Bis zur Bundestagswahl im September reist die taz durch meinland, deinland, unserland. An gut 50 Stationen machen wir Halt, um ins Gespräch zu kommen und für die offene Gesellschaft zu streiten.
Wir sprechen viel mit dem CDU- und dem SPD-Vorsitzenden, in Haßloch regiert eine große Koalition. Jahrzehntelang war für beide Männer die Politik wohlgeordnet. Doch jetzt scheinen sie ratlos. Sie wollen von Haus zu Haus gehen in dem Viertel, in dem knapp ein Drittel für die AfD stimmte. Wir begleiten sie dabei.
Es ist ein Viertel voller Einfamilienhäuser und gestutzter Buchsbäume, lauter Vorgärten, in denen kein Unkraut wächst. Die beiden Lokalpolitiker treffen auf Menschen, die sauer und wütend sind auf „die da oben“, vor allem wegen der Flüchtlingspolitik. Und das, obwohl in Haßloch nur sehr wenige Flüchtlinge leben. Ein Mann schimpft durch das Gartentor, die Asylanten bekämen „alles in den Arsch geschoben“. Das fasst der angesprochene CDU-Mann so zusammen: „Sie sehen das also kritisch.“ Fast wünschen wir uns, dass der Politiker mal ein bisschen ausflippt, dem wütenden Mann seine Meinung entgegenzimmert. Vielleicht wünscht sich das auch der Mann hinter dem Gartentor.
Die Leute sind durchaus sympathisch
In den folgenden Wochen besuchen wir Haßloch immer wieder. Manche Bürger freuen sich, endlich mal nach ihrer Meinung gefragt zu werden. Andere sind zunächst misstrauisch, laden uns dann aber doch zu sich ein. Bei Sylter Sahnetorte erzählt mir ein früherer Polizeibeamter von seiner Angst vorm Verschwinden der weißen Rasse durch Masseneinwanderung. Ihm ist nicht klar, warum mich das nicht auch besorgt. Die Schwarzen seien doch schon überall mit dabei: im Fernsehen, beim Sport. Um das zu verhindern, müsse man das Grundgesetz umschreiben. Es sei einfach nicht mehr zeitgemäß. Der Mann ist nicht Mitglied in der AfD, sondern in der CDU.
Das Schwierigste ist für uns, die Leute in ihrer Widersprüchlichkeit zu begreifen. Die Globalisierungsgegnerin kauft im 1-Euro-Shop. Der Rentner am Beckenrand glaubt, dass „die da oben“ ihm jetzt auch noch das öffentliche Schwimmbad wegnehmen wollen. Der freundliche Familienvater, der den ganzen Tag cappuccinotrinkend im Café sitzt, spricht vom Untergang Deutschlands.
Wie verhält man sich in einem Film zu solchen Einstellungen? Sollen wir jedes Mal nur nicken und das tun, was viele Politiker und Journalisten mit „den Bürger abholen“ meinen? Und ihn danach exakt an der Stelle wieder rauslassen, wo man ihn abgeholt hat? Oder sollen wir aus den Interviews Diskussionen über Demokratie machen? Und wenn nicht: Lassen wir die Wütenden vielleicht größer und wichtiger erscheinen lassen, als sie sind?
Einerseits glauben wir, dass man mit diesem Menschen ernsthaft diskutieren muss, ohne seine eigenen Werte zu verraten. Andererseits wollen wir hier nicht als oberschlaue Bildungselite rüberkommen. Obendrein sind diese Leute durchaus sympathisch. Schlagen uns nicht die Tür vor der Nase zu, wenn wir mit Kamera und Stativ anrücken; schicken uns E-Grußkarten und servieren Wasser mit Eiswürfeln und Gurkenscheiben; sagen gelegentlich aber gruselige Sätze. Nach jedem Besuch mischt sich in unsere Ratlosigkeit auch das Gefühl: Immerhin, wir reden noch.
Auf viele Fragen ist die Antwort betretenes Schweigen
Wir entscheiden uns schließlich für schlichtes, aber entschlossenes Nachfragen: Warum wäre es schlimm, wenn Deutschland nicht mehr weiß ist? Und was bedeutet weiße Hautfarbe überhaupt? Ist das ein Kriterium fürs Deutschsein? Was wäre, wenn ein Kaiser zum Wohle der Mehrheit das Arbeitslosengeld streicht? Was sollen die Politiker konkret tun? Auf viele Fragen ist die Antwort betretenes Schweigen, manchmal entsteht eine hitzige Diskussion, die meisten Menschen streiten gerne. Natürlich können wir niemanden belehren. Unsere Hoffnung ist, dass wir sie zum Nachdenken bringen.
„Wozu Demokratie? Aufruhr in Minideutschland“ von Fabienne Hurst, Jasmin Klofta und Johannes Jolmes – jetzt in der ARD-Mediathek und auf panorama.de
Am Ende sitzen wir wieder in unseren Büros und denken darüber nach, welches denn nun das Grundproblem ist, das zu so viel Zweifel geführt hat. Wir glauben, dass die Flüchtlingskrise nur Auslöser, die AfD nur ein Spiegel dessen ist, was schon viel länger existiert: Viele verstehen Demokratie als reinen Abzählmodus. Als Kundenservice, für den man Steuern bezahlt. Sie glauben, dass sich ihr Wille nur in Denkzettelwahlen und Protest manifestieren könne, aber nicht mit aktivem Engagement.
Dass der gesunde Menschenverstand verbindlicher sei als ein Grundgesetz. Obwohl der Begriff natürlich immer nur das meint, was der für richtig hält, der ihn benutzt. Dass viele die Würde aller Menschen, Gleichberechtigung vom Mann und Frau, von Weißen und Nichtweißen, vor allem als Verlust ihrer eigenen Privilegien wahrnehmen – und nicht als Grundsatz für ein funktionierendes Miteinander.
Das liegt vielleicht an Politikern, die sich jahrzehntelang als Dienstleister für den Bürger inszeniert haben mit ihren ganzen Kümmerer-Kampagnen und Vor-Ort-Besuchen immer kurz vor irgendwelchen Wahlen. Aber auch an uns Journalisten, die nicht mehr erzählen, was alles gut läuft. Die nicht mehr aufzeigen, dass Frieden, Meinungsfreiheit, der Schutz von Willkür durch den Staat nicht selbstverständlich sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin