Film „The Jesus Rolls“ von John Turturro: Der Typ mit dem Haarnetz
Der Schauspieler John Turturro hat sich selbst ein Drehbuch geschrieben. „The Jesus Rolls“ zeigt Formen sexueller Rebellion, die ziemlich daneben sind.
Dieser Mix brachte die 90er auf den Punkt: Golfkrieg, Slacker, Gipsy Kings. Der Slacker und der Kriegsveteran mit den fragwürdigen politischen Ansichten waren „The Dude“ (Jeff Bridges) und sein Freund Walter (John Goodman). Die Gipsy Kings dagegen untermalten den Auftritt jenes Mannes, der für immer festhielt, wie man ein Haarnetz passend zum Bowling-Overall kombiniert: „Jesus Quintana“, gespielt von John Turturro.
Dem Drehbuch zum 1998 entstandenen „The Big Lebowski“ von Joel und Ethan Coen war „Jesus“ nur ein kurzes Intermezzo wert. Ein unvergessliches, immerhin: „Nobody fucks with the Jesus“, giftete der Superbowler, nachdem er die Kugel anleckte und alle Zehne wegnietete. Doch bereits in dieser Szene wurden die Probleme des Kubanoamerikaners angedeutet – Jesus sei ein „Sex Offender“, erklärte Walter, habe im Knast gesessen, Vergehen: Exhibitionismus gegenüber einem Kind.
Das „Lebowski-Jesus-Halloween-Costume for Men“ (lila Overall, Haarnetz, schwarzer Bowling-Handschuh) gibt es trotzdem noch zu kaufen. Und John Turturro, der „The Jesus“ und den Coens damals seine Spielfreude und seine nervöse Gestalt schenkte, liebte den Kult-Charakter so sehr, dass er ihm gut 20 Jahre später einen eigenen Film widmet: John Turturros „The Jesus Rolls“, entstanden bereits 2019, ist ein Spin-off der legendären Dude-Story.
Wieso Turturro, der auch das Drehbuch schrieb und selbstverständlich die Hauptrolle übernahm, das neue Jesus-Abenteuer jedoch als Remake von Bertrand Bliers Skandalfilm von 1974 „Les Valseuses“ („Die Ausgebufften“) konzipierte, ist ein Mysterium. Jenes Regiedebüt von Blier, durch das sowohl Gérard Depardieu als auch Miou-Miou bekannt wurden, liegt in der ambivalenten Schublade „Erotik-Satire“ und stand jahrzehntelang auf dem Index – es war eine schräge Mischung aus anarchistischem Tagediebe-Treiben des noch schlanken Depardieu und seines Kumpels Pierrot (Patrick Dewaere) und deren Sexerlebnissen, die vor allem durch misogyne Sprache und ebensolche Handlungen auffielen.
Das Tabu der sexuell aktiven Mutter
Als zentralen Punkt des Films konnte man eine – immerhin konsensuelle – Dreier-Bettszene mit Depardieu, Dewaere und der viel älteren Jeanne Moreau ausmachen, deren Charakter sich danach erschoss (nicht wegen des Sex, sondern weil die aus dem Gefängnis entlassene Frau nichts mehr vom Leben erwartete).
„Jesus Rolls“. Regie: John Turturro. Mit John Turturro, Bobby Cannavale u. a. USA 2019, 83 Min. Auf DVD erhältlich
Im Gedächtnis von dementsprechenden Fetischisten blieb laut Google-Suche (als erstes kommt „Zugszene“) aber eine andere Sequenz: Depardieu und Dewaere belästigen eine stillende Mutter in einem leeren Abteil und bewegen sie durch Geld dazu, ihre Brust statt dem Baby Dewaere anzubieten. Sie macht (nicht unmotiviert) mit, bis der Bahnhof kommt. Es sollte damals wohl gegen sämtliche gesellschaftliche Konventionen gehen – das Tabu der sexuell aktiven Mutter gehörte dazu.
Turturros Adaption versucht nun, ähnlich rebellisch zu sein. Und ignoriert, dass 50 Jahre dazwischenliegen: Jesus (Turturro) wird nach seiner Haft von seinem besten Freund Petey (Bobby Cannavale) abgeholt. Nachdem sie auf Jesus’ Freundin Marie treffen (die unerschrockene Audrey Tatou in der Rolle von Miou-Miou), beginnen die drei, in derb-albernen Bettszenen Maries Orgasmusproblem zu lösen. Und reanimieren damit das Klischee der „frigiden Frau“, die darauf warten muss, die Freuden der Lust durch den allmächtigen Phallus zu erleben.
Duschen und Tätscheln
Überraschende Klasse bekommt „The Jesus Rolls“ durch einen Auftritt Susan Sarandons in Moreaus Rolle als Ex-Häftling: Sie wird von Jesus und Petey aufgegabelt, dessen Klöten bei einem Streit mit Maries Freund (Jon Hamm) angeschossen wurden, so dass er über Erektionsprobleme jammert. Es folgt wieder ein Dreier zwischen zwei jüngeren Männern und einer älteren Frau, die sich wieder danach erschießt.
Zwischendurch duschen Jesus und Petey zusammen und tätscheln sich die Familienjuwelen wie im Auftakt zu einem Bruce-LaBruce-Film, und ja, man darf sich ob dieser Pimmelfixierung ruhig verwundert die Augen reiben. Mag sein, dass Turturro die homoerotische Komponente bewusst impliziert oder postfeministisch denkt. „Milk Porn“ bleibt jedenfalls aus.
Ob Turturro überhaupt weiß, was er will? „The Jesus Rolls“ wirkt in so vielerlei Hinsicht absonderlich und gaga, dass das fast eine Qualität sein könnte. Ist es aber nicht. Wahrscheinlicher bewahrt Turturro seine „Hausfrauenreport“-Reihe einfach nur im gleichen Regal wie seine „Die kleinen grünen Männchen“-Comics auf. Und möchte letztere Sammlung eigentlich gegen „Tom of Finland“ eintauschen.
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