Feuerpause zwischen Hamas und Israel: Schmerz und Erleichterung
Deutschland will weitere 18 Millionen Euro humanitäre Hilfe für die palästinensischen Gebiete bereitstellen. Das entführte Baby Kfir Bibas soll tot sein.
Erleichterung und Schmerz liegen in Israel nach wie vor nah beieinander. Die Feuerpause könnte verlängert werden, jeden Tag werden neue Geiseln entlassen. Deren Geschichten sind schmerzvoll – und weiterhin sind viele aus Israel entführte Kinder, Frauen und Männer in Gefangenschaft der Hamas, andere offenbar tot.
Die erklärte am Dienstag, an einer nochmaligen Verlängerung der Feuerpause interessiert zu sein. Kommt sie nicht, wird der Krieg am Donnerstag fortgesetzt. Ursprünglich war zwischen Israel und der Hamas eine von Katar und den USA vermittelte viertägige Feuerpause vereinbart worden, mit Option auf Verlängerung um weitere sechs Tage. Für jeden Tag Verlängerung sollten mindestens je zehn israelische Geiseln freigelassen werden. Israel würde seinerseits 30 Palästinenser*innen aus seinen Gefängnissen entlassen.
Israel hegt allerdings Zweifel an der Fähigkeit und dem Willen der Hamas, sich an die Bedingungen der Vereinbarung zu halten. Die israelische Regierung drängt zudem darauf, dass nicht nur die neun Kinder und Jugendlichen befreit werden, die derzeit neben den weit über 100 Frauen und Männern weiterhin im Gazastreifen festgehalten werden. Sie will, dass auch die Väter der bereits entlassenen Geiseln sowie die älteren Männer freigelassen werden.
Von oberster Dringlichkeit war aus Sicht Israels bisher die Freilassung des zehn Monate alten Säuglings Kfir Bibas und seiner Familie. Der Junge war die jüngste im Gazastreifen festgehaltene Geisel und gemeinsam mit seinem vierjährigen Bruder und seinen Eltern entführt.
Säugling Kfir soll tot sein
Am Montag hieß es seitens des israelischen Militärs, dass Familie Bibas von der Hamas an eine andere Terrororganisation weitergegeben worden sei. Am Mittwoch behaupteten die Al-Kassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der Hamas, dass Kfir, sein Bruder und seine Mutter tot seien. Sie seien bei israelischem Beschuss des Gazastreifens getötet worden. Die israelische Armee erklärte, sie prüfe die Angaben.
Weiterhin wird die siebzehnjährige Aysha El Ziadne gemeinsam mit ihrer Familie im Gazastreifen festgehalten – eine muslimische, arabisch-israelische Familie aus der Beduinenstadt Rahat im Süden Israels. Fotos von vor der Entführung zeigen sie mit Kopftuch in die Kamera lächeln. Die Familie, die schon viele Jahre im Kibbutz Holit gearbeitet hatte, wurden bei ihrer Arbeit im Kuhstall des Kibbutz entführt.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bedankte sich am Mittwoch bei seinem Besuch im katarischen Doha beim Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, für seine „erfolgreichen Bemühungen“ in den Verhandlungen über die Freilassung von Geiseln und bat ihn diese fortzusetzen. „Ich hoffe, dass wir dazu in den nächsten Tagen Nachrichten, gute Nachrichten erwarten können“, sagte Steinmeier.
Sollte es zu einer weiteren Verlängerung der Feuerpause kommen, wäre der nächste Schritt möglicherweise ein längerfristiger Waffenstillstand, der dann eine Freilassung aller Geiseln nach sich ziehen könnte. In Israel sprechen sich nur wenige für einen längerfristigen Waffenstillstand aus. Allerdings drängen die Familien der Geiseln darauf, die Waffenruhe so lange einzuhalten, bis alle Geiseln, inklusive entführter israelischer Soldat*innen, freigelassen wurden. Dafür aber müssten erneute Verhandlungen aufgenommen werden.
Rechtsextreme Minister drohen mit Platzen der Regierung
Die rechtsextremen Minister Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich drohen damit, die Regierungskoalition zu verlassen, sollte die Bombardierung des Gazastreifens enden. Ben Gvir, israelischer Minister für Nationale Sicherheit, schrieb am Dienstag auf X/Twitter: „Den Krieg beenden – Auflösung der Regierung.“ Finanzminister Bezalel Smotrich schrieb, ebenfalls auf X, dass ein Waffenstillstand im Gegenzug zur Befreiung aller Geiseln in Gaza ein „Plan zur Eliminierung des Staates Israel“ sei.
Doch Israel kann über die Frage, ob die Kampfhandlungen wieder aufgenommen und möglicherweise sogar auf eine Eskalation mit der Hisbollah ausgeweitet werden, nicht allein entscheiden. Das hängt maßgeblich von der Unterstützung aus den USA ab. Das Weiße Haus scheint bislang eine Wiederaufnahme des Krieges zu unterstützen, unter den Bedingungen jedoch, dass Israel humanitäre Hilfslieferungen in den Gazastreifen ermöglicht und einen Plan für den „Tag nach dem Krieg“ vorlegt.
US-Präsident Joe Biden und Außenminister Antony Blinken, der in dieser Woche erneut in die Region reist, haben sich mehrfach dafür ausgesprochen, dass die Palästinensische Autonomiebehörde die Kontrolle im Gazastreifen übernimmt und der Weg zu einer Zweistaatenlösung geebnet werden soll.
Derweil droht weiterhin die Gefahr einer Eskalation im Westjordanland. Bei einer Razzia in Dschenin im Westjordanland tötete das israelische Militär zwei hochrangige Kommandeure von Terrororganisationen, darunter Mohammad Zabeidi, den Anführer der Dschenin-Brigaden. In der Nacht zu Mittwoch begann das israelische Militär palästinensischen Quellen zufolge die Belagerung von drei Krankenhäusern in Dschenin.
Christos Christou, Präsident der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, war in der Nacht offenbar im Khalil-Suleiman-Krankenhaus im Westjordanland. Mehrere Stunden hinweg hätten Mitarbeiter*innen der Organisation das Krankenhaus nicht verlassen können und Patient*innen seien nicht hineingekommen, schrieb er auf X.
So hofft vor allem die Bevölkerung in Gaza auf eine möglichst lange Waffenruhe. Wegen der katastrophalen Lage im Gazastreifen stockt das Auswärtige Amt seine humanitäre Hilfe um weitere 18 Millionen Euro auf. Die Zivilbevölkerung soll dadurch mit überlebenswichtigen Gütern wie Wasser, Nahrung, Medikamenten und Kleidung versorgt werden, wie ein Ministeriumssprecher in Berlin sagte. Die humanitäre Hilfe für die palästinensischen Gebiete im laufenden Jahr steige damit auf insgesamt 179 Millionen Euro.
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