Feuer in US-Düngerfabrik: Tödliche Ammoniak-Explosion
Die Explosion in einer texanischen Düngerfabrik tötete mehrere Menschen. Der halbe Ort musste evakuiert werden. Weitere Unfälle drohen.
WASHINGTON taz | Die Druckwellen der Explosion am Mittwochabend sind bis in 80 Kilometer Entfernung zu spüren: In dem Ort West, im Herzen von Texas, zerstört sie auf der Stelle nicht nur die Düngemittelfabrik, sondern auch zwischen 50 und 70 weitere Häuser – darunter einen mehrstöckigen Wohnblock und ein Altersheim.
Zahlreiche Menschen sterben und werden verletzt. Die genaue Zahl der Opfer bleibt zunächst unklar, die Rede ist von „fünf bis 16“ oder sogar „60 bis 70“ Toten. Zahlreiche Personen – darunter auch Rettungsarbeiter – werden vermisst. Der Einsatzleiter von der texanischen Sicherheitsbehörde, D. L. Wilson, nennt die Explosion „gewaltig“. Er vergleicht das Unglück zuerst mit dem Irakkrieg, dann mit dem Bombenattentat in Oklahoma City, bei dem vor fast genau 18 Jahren 168 Menschen ums Leben kamen.
In West sind am Morgen nach der Explosion bei der „West Fertilizer Company“ bereits die Hälfte der 2.800 Einwohner evakuiert worden. Feuerwehr- und andere Sicherheitsleute, von denen manche in der Nacht aus mehr als hundert Meilen (160 Kilometer) Entfernung zu Hilfe gekommen sind, durchkämmen die Trümmer auf der Suche nach Überlebenden. Die Gefahr ist nicht gebannt. Auf dem Werksgelände steht noch ein zweiter, mit wasserfreiem Ammoniak gefüllter Tank. Zudem weht es stark. Wenn der Wind sich dreht, muss auch die andere Hälfte des Ortes evakuiert werden.
Die Ursache des Unglücks ist noch unklar. Vor der Explosion war in der Fabrik aus unbekannten Gründen ein Feuer ausgebrochen. Die Ermittler schließen auch ein Verbrechen nicht aus. Für das einst von tschechischen Einwandern an einer Eisenbahnstrecke gegründete West könnte die Explosion das Ende seiner Geschichte sein. Der Ort liegt 120 Kilometer südlich von Dallas. Hier leben ein paar Landwirte und viele Pendler, die ihr Geld im benachbarten Waco verdienen. Die West Fertilizer Company war einer der wenigen Arbeitgeber im Ort.
Keinerlei Risiko
Die Firma selbst hatte der Umweltbehörde gegenüber zuvor erklärt, ein Risiko von Brand oder Explosion bestehe nicht: Auf dem Gelände lagerten 24,5 Tonnen wasserfreies Ammoniak (NH3) auf dem Gelände, im schlimmsten Fall würde maximal „zehn Minuten lang“ Ammoniak austreten. Zu Verletzungen oder gar Todesfällen in der Umgebung könnte das nicht führen.
Die Umweltbehörde hatte die Firma gefragt, ob ein Notfallplan für die Fabrik nötig wäre. Soweit bekannt, hatte sich zuletzt jemand im September 2006 bei den Behörden über stechenden Ammoniak-Geruch in West beschwert.
Kontrolleure der Arbeitsaufsicht hatten die West Fertilizer Company seit mindestens fünf Jahren nicht mehr aufgesucht. Die zuständige Aufsichtsbehörde, OSHA, hat US-weit lediglich 2.200 Inspektoren. Rein statistisch reicht das, um jeden industriellen Arbeitsplatz einmal alle 129 Jahre zu überprüfen. Meist werden OSHA-Inspektoren aktiv, wenn Beschäftigte sie kontaktieren, was in Texas selten der Fall ist. Die meisten texanischen Betriebe sind – wie die West Fertilizer Co – „gewerkschaftsfrei“, weil die Angestellten um ihre Arbeitsplätze fürchten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Desaströse Lage in der Ukraine
Kyjiws Wunschzettel bleibt im dritten Kriegswinter unerfüllt